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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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und sein Selbstvertrauen untergräbt. Sie legt ihm die Hand auf den Arm. »Tut mir leid, Shane.«
    Dann klingelt ihr Telefon. Daryl. Scheiße. Sie drückt Sha nes Arm, durchquert das Zimmer und meldet sich ohne einen Blick aufs Display. »Hi.«
    Aber es ist nicht Daryl.
    Es ist Michael Deane. »Claire, gut, dass Sie schon auf sind. Wo sind Sie?« Er wartet nicht auf ihre Antwort. »Haben Sie den Italiener und den Übersetzer gestern Abend im Hotel abgesetzt?«
    Ihr Blick gleitet zu Shane. »Äh, ja …«
    »Wie schnell können Sie sich mit mir im Hotel treffen?«
    »Ziemlich schnell.« Noch nie hat sie Michael so aufgeregt gehört. »Hören Sie, Michael. Wir müssen über Shanes Pitch reden …«
    Doch er unterbricht sie. »Wir haben sie gefunden.«
    »Wen?«
    »Dee Moray! Nur heißt sie nicht mehr Dee Moray. Sie heißt Debra Moore. Sie war die ganzen Jahre Schauspiel- und Italienischlehrerin an einer Highschool in Seattle. Ist das zu fassen?« Michael klingt high, wie auf Drogen. »Und ihr Junge – haben Sie schon mal von einer Band namens Reticents gehört?« Wieder wartet er ihre Antwort nicht ab. »Ja, ich auch nicht. Jedenfalls, der Detektiv hat die Nacht durchgearbeitet und eine Akte zusammengestellt. Alles Weitere erzähle ich Ihnen auf dem Weg zum Flughafen.«
    »Zum Flughafen? Michael, was soll …«
    »Im Flieger hab ich was zu lesen für Sie. Dann werden Sie alles verstehen. Jetzt holen Sie bitte Mr. Tursi und den Übersetzer. Sie sollen sich fertig machen, Mittag geht die Maschine.«
    »Aber, Michael …«
    Michael ist schon weg, bevor Claire fragen kann, wohin sie fliegen. Sie drückt die Auflegen-Taste und schaut hinüber zu Shane, der immer noch mit abwesendem Gesicht auf dem Bett sitzt. »Michael hat seine Schauspielerin gefunden«, erklärt sie. »Er will, dass wir zu ihr fliegen.«
    Shane hat ihr anscheinend gar nicht zugehört. Er starrt auf einen Punkt an der Wand hinter ihr. Sie hätte ihm nichts sagen dürfen, hätte ihm seinen kleinen Traum lassen müssen.
    »Hör zu, Shane, es tut mir wahnsinnig leid. Du musst nicht mitkommen. Ich kann einen anderen Übersetzer suchen. Dieses Geschäft ist …«
    Doch er unterbricht sie. »Das heißt also, er zahlt mir zehntausend Dollar, um aus seinem Vertrag rauszukommen …« Ein merkwürdig vertrauter Ausdruck legt sich über Shanes Gesicht. »Und dann kassiert er zehn Millionen?«
    Jetzt weiß sie, woher sie diesen Gesichtsausdruck kennt. Es ist ein Ausdruck, der ihr jeden Tag begegnet, der Ausdruck von jemandem, der nachrechnet und die Möglichkeiten erkennt.
    »Dann ist mein Film vielleicht auch mehr wert als zehntausend.«
    Heilige Scheiße, der Typ ist ein Naturtalent.
    »Ich meine, wer will schon für zehntausend einen toten Film pitchen? Aber für fünfzig? Oder achtzig ?« Über Shanes Mund huscht ein gerissenes Lächeln. »Ich bin dabei.«

13
    Dee geht ins Kino
    April 1978
    Seattle, Washington
    S ie nannte ihn L.E. Steve – für Leibeserziehung –, und im Moment war er unterwegs, um sie zu einer Verabredung abzuholen. Debra Moore-Bender hatte inzwischen Übung darin, den Annäherungsversuchen ihrer Lehrerkollegen auszuweichen, doch von der attraktiven jungen Witwe ließ sich der kräftige Steve offenbar nicht so schnell entmutigen, und er war wochenlang um sie herumgeschlichen, bis er schließlich zuschlug: als sie bei einem Schultanz am Eingang saßen und unter einem Spruchband mit der Aufschrift EWIGE LIEBE: FRÜHLING 78! Schülerausweise kontrollierten.
    Debra brachte ihre übliche Ausrede an – mit Kollegen traf sie sich nicht –, doch Steve lachte sie einfach aus. »Was soll das? Meinst du so ähnlich wie bei Anwälten und Mandanten? Du weißt doch, dass ich Sport unterrichte. Ich bin kein richtiger Lehrer, Debra.«
    Ihre Freundin Mona drängte sie, mit Steve auszugehen, seit die Nachricht von seiner Scheidung in den Aufenthaltsraum der Lehrer vorgedrungen war – die gute Mona, deren eigenes Liebesleben aus einer einzigen Reihe von Katastrophen bestand, die aber zu wissen glaubte, was für Debra das Richtige war. Was sie schließlich überzeugte, war, dass L.E. Steve sie ins Kino einlud. Da lief gerade dieser Film, den sie sehen wollte –
    Und jetzt, wenige Minuten vor dem verabredeten Zeitpunkt, stand Debra im Bad vor dem Spiegel und strich sich mit einer Bürste durch das federblonde Haar, das sich kräuselte und nach unten sank wie das Kielwasser eines Bootes ( Miss Farrah , so wurde sie von einigen Schülern genannt, und sie tat,

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