Schöne Zeit der jungen Liebe
das nicht«, sagte May mit ruhiger Stimme. Doch nachdem sie die Tür geschlossen hatte, wurde ihr auf einmal klar, daß Amanda recht hatte. Sie lachte - ein kurzes, ärgerliches Lachen. Sie, die Jocelyn gehörte, die Jocelyn gehörte bis zum letzten Atemzug, wurde von einem anderen Mann geliebt! Es war lächerlich! Sie mußte dem sofort ein Ende machen. Aber - und wenn nun alles nur Einbildung war?
Nein, dachte sie. Amanda hat es bemerkt. Amanda, der kleine Satan, weiß Bescheid. Wie blind bin ich gewesen! Wie lange geht das wohl schon? Seit Rachels Tod? Ja, so war es. Die Einsamkeit nach dem Tod seiner Frau, das war’s. Und natürlich ist er ein Ehrenmann, er würde eher sterben, als Jocelyn oder mir auch nur eine Spur seiner Gefühle zu offenbaren. Der Arme. Sie bemühte sich, Mitgefühl aufzubringen, aber zu ihrer eigenen Überraschung fühlte sie sich nur verletzt und empfand gleichzeitig eine Spur fast arroganter Befriedigung. Gegen ihren Willen stellte sie mit einer gewissen Genugtuung fest, daß sie sich doch offenbar noch einigermaßen sehen lassen konnte - auch ohne das Zeug aus der Drogerie.
Als sie endlich ins Bett schlüpfte, sagte sie mit ernstem Gesicht: »Mir kam heute ein merkwürdiger Gedanke, Jocelyn.«
»Ja, Liebes? Moment mal eben, ich will mir nur noch schnell die Zähne putzen.« Er ging ins Badezimmer und kam nach einer Weile zurück. »Also, diese Zahnpasta - ich meine, diese neue mit dem fabelhaften Zusatz - schmeckt wie Lederpolitur! «
»Ich habe Lederpolitur noch nie probiert.«
Klang das nicht etwas kühl? Er dachte nach. Ach ja - der merkwürdige Gedanke, natürlich! Übertrieben eifrig fragte er: »Also, dann erzähl mal - was war das für ein merkwürdiger Gedanke?«
»Na ja, es klingt sicher schrecklich eingebildet, aber ich dachte auf einmal, ob Charles Bunting vielleicht in mich verliebt ist.«
»Charles? Na klar. Seit Jahren.«
Sie fuhr hoch und setzte sich im Bett auf. »Wieso -du hast es gewußt ?«
Jocelyn setzte ein kleines selbstgefälliges Lächeln auf. »Ach, weißt du, ein Schriftsteller merkt so etwas ganz instinktiv.«
Sie saß still da, die Hände um die Knie geschlungen. Nach einer Pause sagte sie: »Ich dachte schon, er hätte was zu dir gesagt. Ich dachte, ihr beide hättet vielleicht ein Gespräch von Mann zu Mann darüber gehabt.«
»Nein, nein!« sagte er, und es klang erschreckt. »Das gehört sich doch wohl nicht, findest du nicht auch, May?«
»Ich weiß nicht. Ich hätte eigentlich angenommen, es gehört sich auch nicht, daß man sich in die Frau eines anderen Mannes verliebt.«
»Nein, sicher nicht, aber so etwas kommt natürlich vor. Und du kannst ja auch sehr reizend aussehen.«
»Danke.«
Sie schwieg und rieb das Kinn an den Knien. Dann sagte sie: »Aber ich bin schon vierzig, Jocelyn.« Es klang fast wehklagend. »Gaylord findet, ich müßte mir das Haar färben.«
Er betrachtete sie nachdenklich und schüttelte den
Kopf. »Nein, das paßt nicht zu dir. Mit Charme und Anmut alt werden, das ist eher dein Stil, May.«
Wieder sagte sie eine Weile nichts. Dann: »Ja, das mag stimmen.« Sie legte sich wieder hin und seufzte. »Jocelyn?«
»Ja...?«
»Du bist nicht böse? Ich meine, wegen Charles?«
Er lachte herzlich. »Aber, May! Ich hoffe doch, ich bin zivilisiert genug...« Er kroch ins Bett und gähnte.
»Ja«, sagte sie nachdenklich. »Von der Seite hatte ich es noch gar nicht betrachtet. Gute Nacht, Jocelyn.«
»Gute Nacht, Liebes.«
Sie konnte nicht schlafen. Ob auch Jocelyn alt wurde? Ältlich, gesetzt und vielleicht sogar pathetisch? Jocelyn, dessen trockener Humor, dessen belustigte Selbstironie sie immer so entzückt hatte? Ich hoffe doch, ich bin zivilisiert genug...
Wir werden alle älter, dachte sie düster und immer noch hellwach. »Wir müssen Liz die Möglichkeit geben, jetzt andere Ferienpläne zu machen. Ohne Gaylord ist es für sie zu langweilig.«
»Oh, sie wird sich schon amüsieren. Und sie kann sich ein bißchen um Amanda kümmern. Außerdem kann sie dir doch auch im Häuschen zur Hand gehen.«
Sie wandte ihm das Gesicht zu und sagte langsam: »Weißt du was, Jocelyn? Wenn du nicht gut aufpaßt, bist du bald ebenso ein Egoist wie dein Vater.«
Er hob den Kopf vom Kissen und sah sie erstaunt an. »Ist Vater denn so egoistisch?« überlegte er. »Ja, du hast recht, manchmal ist er es wirklich. Du bist ein kluges Kind!«
»Danke«, sagte sie.
Er lag still da und sagte nichts mehr. May war heute abend offenbar
Weitere Kostenlose Bücher