Schönesding!
Ich bin bereit.“
„ Pass auf, ich würde sagen, Berlin ist wie Los Angeles und Marzahn ist wie Baldwin Hills, das Afro-Amerikanische Beverly Hills.“
„ Das scheint gewagt. Aber warum nicht? Fahren Sie fort.“ Ich war sehr entgegenkommend.
„ Wegen der Sklaverei und der Segregation ist Los Angeles wie eigentlich alle amerikanischen Städte strikt geteilt. Die Schwarzen Gebiete, das heißt die Gebiete für Schwarze, liegen in Los Angeles alle südlich der Autobahn 10, die sich ziemlich genau von West nach Ost durch die Stadt zieht. Oder von Ost nach West, wie du willst.“
Felder hatte wieder seinen dozierenden Ton angenommen. Hubsis Blicke fingen an zu schweifen. Die Oma neben uns hatte ihr Stück Kuchen verfüttert und wischte nun mit ein bisschen Spucke auf einer Serviette die Kuchenkrümel vom Mund ihres Enkels. Das mittelalte Ehepaar, aufgewärmt und müde von der Schokolade, lagerte aufgeräumt in seinen Sesseln wie schlafende Wale im flachen, warmen Wasser.
Das alles schien Felder nicht zu bemerken. Er hatte seinen Blick fest auf den meinen geheftet. Er fuhr fort: „Die weißen Stars wohnen in den Hügeln von Hollywood, nördlich der Stadt, oder in Malibu, an der Küste. Aber die Schwarzen Stars, Leute wie Ray Charles oder Tina Turner, um nur die bekannteren zu nennen, wohnten und wohnen in Baldwin Hills, den Hügeln im Süden der Stadt. Verstehst du?“
„ In Ordnung, ich verstehe.“
„ Natürlich könnten sie es sich auch leisten in den Hügeln von Hollywood zu wohnen. Das ist gar keine Frage, aber trotzdem zogen sie lieber zu ihresgleichen in die Hügel im Süden und blieben auch dort. Warum?“
Felder holte Luft und ließ eine rhetorische Pause. Aber da ich wusste, dass er seine Frage sowieso gleich beantworten würde, hob ich nur kurz die Schultern.
„Ganz einfach: Nach langer Zeit der offiziellen und Jahrzehnten gefühlter Diskriminierung hielten sie es real, blieben sie nun lieber auf dem Boden, wie es so schön heißt im afro-amerikanischen Englisch. Sie hatten es geschafft, da besteht kein Zweifel, aber sie vergaßen nicht, wo sie herkamen. Wären sie ins weiße Beverly Hills gezogen, wären sie in ihrer Gruppe als Verräter gebrandmarkt worden, also blieben sie lieber auf dem Boden. Das war das Entscheidende, verstehst du?“
Klar, das stimmte schon, was Felder sagte, das war überhaupt nicht zu bestreiten, aber was hatte das mit Marzahn zu tun. Ich hatte schon Luft geholt, um das zu fragen, aber da fing Felder schon wieder an.
„Und so ist es mit Berlin und Marzahn auch. Natürlich könnten die Heimspieler-Ost es sich leisten in den Vierteln im Westen von Berlin zu leben, oder in denen im Osten, wo jetzt Heimspieler aus dem Westen wohnen. Aber sie bleiben lieber bei ihresgleichen, verstehst du?
„ Meinst du?“
„ Ja, klar, Mann, überleg doch mal! Sie haben ihre eigene Kultur, ihre eigene Mode und natürlich ihr eigenes Lokalesisch.“
So hatte ich das noch nicht betrachtet.
„Das wichtigste Maß für Ethnologen, ob zwei Gruppen sich vermischen, ist, in welchem Ausmaß es Mischheiraten zwischen ihnen gibt. Würde sich einer die Mühe machen, mal eine Erhebung zu machen, wie viel Heiraten es zwischen Heimspielerin-Ost und Heimspieler-West gibt und umgekehrt, du wärst erstaunt, wie wenig das sind, Mann.“
So meinte Felder das also. So hatte ich das noch nicht betrachtet.
Hubsi machte die ersten Übersprunghandlungen. Er wollte wohl an die frische Luft. Inzwischen war auch Mutti gekommen und hatte Omi und den Enkel abgeholt. Zusammen mit Opi und einem kleinen Töchterchen im Kinderwagen machten sie sich auf den Weg zum Ausgang. Und auch die schlafenden Schokoladen-Wale hatten tiefere Gewässer aufgesucht.
Na gut, dann machten wir uns eben auch auf den Weg.
Felder ging gleich vorne weg und ließ es sich nicht nehmen aus unserem kleinen Spaziergang so eine Art geführte Tour zu machen. Vor besonders eindrucksvollen Viel-Geschossern blieb er stehen und wies, unterstützt von übertriebenen und wohl halb-ironisch gemeinten Lauten des Staunens und Genießens, in den weiten Himmel.
Unaufgefordert referierte Felder die Theorie der sowjetischen Städteplanung. Ursprünglich wurden die Neubauviertel geplant, erzählte er, um die alten bürgerlichen Strukturen aufzubrechen: aus Kaufleuten und Handwerkern hier und Arbeitern dort. In der neuen Zeit sollten alle gemeinsam in Neubauten wohnen, die wiederum in schön begrünte Parks eingebettet waren.
„Ich dachte, es ging vor
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