Schönesding!
sie trug auch ein paar Prospekte in der Hand. Offenbar hatte sie uns schon als Reisende in Sachen exotisches Wochenende ausgemacht und, obwohl wir sie erst einmal ignorierten, wollte sie uns nun nicht mehr entkommen lassen.
Zuerst musste sie unbedingt wissen, wo wir herkamen. Für ihre Statistik. Sie hatte gerade ein Ehepaar aus Berlin-Steglitz herumgeführt, sagte sie zufrieden. Nun wollte sie uns herumführen, wenn wir nichts dagegen hätten.
Wir guckten uns an. Frau Schneuzel war tatsächlich Touristenführerin, bezahlt vom Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf und vom Arbeitsamt, sagte sie mit Überzeugung, so als müsse sie bei uns einen gewissen Unglauben überwinden. Ihre Aufgabe war es das falsche Bild zu korrigieren, das viele von Marzahn hatten. Und sie hatte eine Menge vorzuzeigen: „Ein denkmalgeschütztes historisches Angerdorf mitten in einer Neubausiedlung.“ Nicht zu nackig, dachte ich. Wo gibt es so was schon!
Und schon waren wir auf dem Weg. Man muss einfach nur bei sich zuhause auf Reisen gehen, hatte Felder gesagt. Das war doch genau das, was Felder meinte. So konnte man alles mit anderen Augen sehen, man musste nur genau hinschauen. Man musste nur den exotischen Blick auf das Bekannte werfen, um das Interessante im Langweiligen zu finden.
Im selben Augenblick allerdings fragte ich mich schon, ob Felder es wirklich so gemeint hatte. Denn was Frau Schneuzel referierte, war weniger exotisch als naheliegend, extrem naheliegend, wie wir bald feststellten. Denn sie suchte und fand das Exotische bei Pastor Geselle auf dem schrundigen Hof – Bronzeputen, eine vom Aussterben bedrohte Nutztierrasse! – und in allen möglichen anderen Dorfställen, die Felder nur mit einem Grunzen zur Kenntnis nahm.
Frau Schneuzels Rede durch Fragen zu steuern und zu strukturieren war nur eingeschränkt möglich. Sie hatte die unangenehme Angewohnheit dann anzufangen zu reden, wenn man selbst etwas sagen wollte. Aber wenn man ihr den Vortritt ließ, hörte sie auf zu reden, so dass ein peinliches Schweigen entstand. Wenn man dann doch noch einmal versuchte seinen Gedanken wieder aufzugreifen, fing auch sie wieder an, bis dann doch alle still waren.
Das musste sie jahrelang trainiert haben. Um sich gegen vorlaute Geschwister durchzusetzen vielleicht, oder um den verhassten Ehemann mundtot zu machen. Wer kann das schon sagen. Was man aber sagen kann: wenn sie nicht redete, herrschte um sie herum Schweigen, und dabei schaute sie uns an, als führten wir Selbstgespräche.
Als wir dann schließlich an der Windmühle auf dem schönen grünen Hügel angelangt waren, hatte unsere Gier aufs Exotische schon etwas gelitten. Die Mühle sah echt aus, wie man sie sich in Grimms Märchen so vorgestellt hätte, so eine, wie sie ein Riese gerne umblasen würde oder zumindest so eine, wie sie noch heute in Holland stehen könnte. Außen war sie ganz mit verwitterten Holzschindeln verkleidet, und auch das Windrad aus vier langen Flügeln war ganz aus dunklem Holz gemacht. Um das Bild abzurunden, war um sie eine Wiese angelegt, mit einer Herde kauender Schafe darauf und einem wackeligen Holzzaun drum herum.
Nur Felder wusste mehr. „Die ist doch neu!“, sagte er in vorwurfsvollem Ton, so als sei das Betrug.
„ Na ja, neu“, sagte Frau Schneuzel pikiert. „Neu, eigentlich nicht.“
„ Wann wurde sie denn gebaut?“
„ Na ja, gebaut. Gebaut wurde sie 1994.“
Felder blies Luft wie ein Wal.
„Aber bei Hochzeiten, da sollten sie sie mal sehen!“, sagte Frau Schneuzel gleich. „Da ist sie sehr beliebt. Alle kommen her und stoßen an mit einem Glas Sekt.“
„ Wie in der Sowjetunion oder was mal die Sowjetunion war“, sagte Felder darauf wie aus der Pistole geschossen. „Da fahren sie auch zum Lenin-Denkmal in der Stadt, oder manchmal einfach zu nem Baum, wenn's keines mehr gibt.“
Frau Schneuzel hatte sich schon abgewendet und studierte interessiert ein Zweiglein am Wegesrand, aber Felder war ihr nachgelaufen.
„Dort zerdeppern sie dann zur Feier des Tages ein paar Wodka-Gläser.“
Und das war das.
Inzwischen war es später Nachmittag geworden. Die Sonne stand tief um die Kronen der Viel-Geschosser, und so verabschiedeten wir uns von Frau Schneuzel und machten uns auf den Weg zum Freizeitforum Marzahn. Dort hatte Felder Karten vorbestellt für die Abendunterhaltung.
* 15 *
Lange Hölle Tegel: Nach dem Einschluss hole ich sofort mein Mobilnik aus der Unterhose. Dort ist es am sichersten. Deshalb musste ich
Weitere Kostenlose Bücher