Schoenhauser Allee
kreiste ständig wider Willen um das Thema Abtreibung. »Die Elefanten haben es nicht leicht«, erklärte Mischa, der inzwischen ein großer Tierspezialist geworden war. Zuerst müssen sie ihre Babys zwei Jahre lang im Bauch tragen und dann können zwischen den ersten Wehen und der endgültigen Geburt noch Monate vergehen.« Die Mutter draußen hörte sich derweil wie eine Fliegerstaffel im Tiefflug an. »Der Rüssel war schon vor zwei Wochen zu sehen, hoffentlich ist sie jetzt bald so weit«, meinte Mischa. Nach jedem Schrei schien es mir, als würde gleich das Haus zusammenbrechen. »Allein vom Zuhören könnte man schwanger werden«, sagte ich zu meinem Freund. »Das ist doch noch gar nichts«, erwiderte er. »Du solltest mal im Frühling bei mir vorbeischauen, wenn drüben bei den australischen Schildkröten die Paarungszeit anfängt. Bei sich in Australien haben sie es immer im August getrieben, doch hier in Berlin haben sie ihre biologische Uhr umgestellt, wahrscheinlich um nicht aufzufallen. Das gelingt ihnen aber trotzdem nicht. Es hört sich wie eine Panzerschlacht an. Ich weiß nicht, wie sie ihre Paarungszeit überhaupt überleben.« Mischa war davon überzeugt, dass die Tierwelt neben seinem Haus der Grund war, dass er seit Jahren keine Freundin mehr gehabt hatte.
Ein anderer Freund von uns, Kolja, wohnt in einer scheinbar idyllischen Ecke nicht weit von unserem Haus entfernt am Falkplatz im Prenzlauer Berg. Dort gibt es eine große Parkanlage mit zahlreichen Sandkästen und Schaukeln für Kinder, auch viele Bänke für die Rentner, die sich dort endlich in Ruhe ihrem ehrlich verdienten Bier widmen können – keine Autos, kein Verkehr, so weit das Auge reicht. Ganz nahe am Falkplatz steht die Max-Schmeling-Halle. Wenn dort Basketball- oder Fußballwettbewerbe ausgetragen werden, spielen alle Bewohner rund um den Falkplatz mit. Wenn ein Tor fällt, sind die Fußballfans in der Halle manchmal sogar lauter als die schwangere Elefantenkuh im Zoo. Dann fällt das eine oder andere Kind von der Schaukel runter, die Rentner verschlucken sich an ihrem Bier, und die Fensterscheiben ringsum erzittern. Die Nähe zur Max-Schmeling-Halle hat aber auch Vorteile. So müssen die Anwohner sich nie Sportnachrichten ankucken, sie sind immer auf dem neuesten Stand.
Es gibt wahrscheinlich auch ruhigere Plätze in Berlin, abseits von lärmendem Straßenverkehr, wilden Tieren und ewigen Baustellen. Sie werden aber von den dortigen Bewohnern geschützt und geheim gehalten. Damit auch weiterhin kein Mensch dorthin geht.
Berühmte Persönlichkeiten auf der Schönhauser Allee: Albert Einstein und Niels Bohr
Vor dem Eingang in die »Schönhauser Arcaden« sitzt ein Bettler auf einer Pappkiste. Jedes Mal, wenn ich an ihm vorbeikam, kuckte ich weg. Es war mir peinlich, ihm in die Augen zu schauen. Der Kerl erinnerte mich an jemanden, den ich oft im Fernsehen sah. Aber an wen? Eines Tages fiel es mir ein: Dieser lustige, etwas verwirrte Blick, die hoch stehenden Haarbüschel, der graue Schnurrbart – das habe ich in der Werbung für Herschi-Limonade gesehen. Der Kerl sieht Albert Einstein, dem verrückten Erfinder der Relativitätstheorie, absolut ähnlich. In diesem Moment konnte ich auch seine Sprüche, die er auf den Karton schreibt, viel besser nachvollziehen: »Zwei Mark ist kein Geld« stand da beispielsweise drauf.
»Hey Alter, alles ist relativ, nicht wahr?« Ich zwinkerte ihm zu und legte zwei Mark in seinen Becher. Einstein tat so, als ob er mich nicht verstanden hätte, er wollte wahrscheinlich nicht, dass seine Tarnung aufflog. »Alles ist relativ – oder was?«, fragte ich ihn noch einmal. Daraufhin packte er seine Sachen und ging auf die andere Seite der Schönhauser Allee. Dort begrüßte ihn ein anderer Kerl, der auch ein bekanntes Gesicht trug. Irgendwo hatte ich diesen Dicken schon mal gesehen: Glatze, kalte Augen, fette Wangen, breites Kinn: ohne Zweifel Niels Bohr, der dänische Erfinder der Quantentheorie. Doch was machte dieser Mann hier auf Schönhauser Allee? Ganz klar: Er traf sich insgeheim mit Albert Einstein, um in aller Ruhe mit ihm die aktuellen Probleme der modernen Physik zu diskutieren. Hier findet ein geheimer wissenschaftlicher Kongress statt.
Beide Wissenschaftler gehen die Schönhauser Allee entlang und setzen sich auf die Bank vor dem Sportwarengeschäft. Einen besseren Platz für einen Kongress kann man in der Gegend gar nicht finden. Dort warten auch schon andere Wissenschaftler auf sie.
Weitere Kostenlose Bücher