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Schoenhauser Allee

Titel: Schoenhauser Allee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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gefahren«, bemerkt ein anderer Musiker, anscheinend ein Freund von Herrn Krüger, der gerade mit einem großen Keyboard unterm Arm vorbeikommt. »Ich habe ihn auf der Treppe kotzen sehen. Wir wollen gleich mit dem Tanzen anfangen. Kommen Sie mit?«
    Die Scherben der heruntergefallenen Gläser werden von den Tanzenden schnell zu Glaspulver zermahlen und in das Parkett getrampelt. »Hauptsache, keiner fällt hin«, meint die Künstlergruppe »Renata«. Sofort rutscht ein junger Autor aus, sein weißes Hemd färbt sich mit Blut.
    »Tut es weh?«, fragt ihn die Dame, die einen Roman über den Schmerz geschrieben hat. »Es ist gleich vorbei«, beruhigte ihn die kahle Skatboardfilmerin.
    »Wo ist eigentlich die Symbiose, ich habe sie noch gar nicht so richtig bemerkt«, fragt mich meine Frau. Gegen drei Uhr nachts kommt plötzlich Otto total frustriert aus der Toilette und beißt einen Jungliteraten in den Arsch. Im Nachhinein muss man aber sagen: Es war ein gelungener Abend.

Der Radiojurist
    »So viele Russen wie jetzt gab es in Berlin seit 1945 nicht mehr«, sagte neulich meine Nachbarin Frau Moll, eine vornehme Dame, die so alt ist wie die Schönhauser Allee. Dabei ist Frau Moll keine geborene Berlinerin, genau wie wir. Kurz vor dem Krieg zog sie aus einem mecklenburgischen Dorf hierher. »Die Russen kamen nach Gorbatschow«, meinte sie. Als er 1989 die Schönhauser Allee herunterfuhr, waren die Dächer in der ganzen Nachbarschaft voll von neugierigen Einheimischen, alle wollten dem ersten sowjetischen Generalsekretär mit menschlichem Antlitz zuwinken. Gorbatschow winkte freundlich zurück: »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.« Die Einheimischen fielen vor lauter Begeisterung beinahe von den Dächern, direkt in die Hände der Staatssicherheit. Sie dachten, dass Gorbi mit diesem Spruch sie gemeint hätte und dass sie sich schnell mit dem Westen vereinigen sollten. Aber das war ein Missverständnis. Eigentlich waren Gorbatschows Worte nicht an die Deutschen, sondern an die Russen gerichtet. Er wollte damit sagen: Seht, ich bin schon aus dem Schneider. Bald werde ich mich zur Ruhe setzen und in allen Talkshows auftreten, wo man über Politik plaudert. Mich mögen hier alle, weil ich attraktiv und preiswert bin.
    »Kommt nach Europa«, lud Gorbatschow seine Landsleute ein, »es ist schön hier!« Die Russen überlegten nicht lange und kamen massenhaft nach Deutschland. Innerhalb der nächsten zehn Jahre entstand in Berlin ein russisches Kommunikationsnetz, damit sich meine Landsleute auch hier wie zu Hause fühlen konnten. Es gibt inzwischen sogar ein eigenes Fernsehprogramm in russischer Sprache, nicht so groß wie das türkische, nur sonntags eine halbe Stunde auf dem Spree-Kanal, aber immerhin ein richtiges Fernsehprogramm. Der Name des Senders,
RKPB
, lässt einen gleich an die Revolution und den Kommunismus denken, dabei heißt es ausgeschrieben nur »Russisches Kulturelles Programm Berlins«.
    Die Sendung wird von einem alten Mann gemacht, der seine kleine Einzimmerwohnung in Charlottenburg zu einem Fernsehstudio umgebaut hat. In seiner Wohnung wird das gesamte Programm aufgenommen. Als Moderatoren treten entweder er selbst oder seine Frau auf, manchmal auch sein Hund, wenn Frauchen gerade einkaufen gegangen ist und der Chef hinter der Kamera steht. Und dann gibt es noch eine russische Redaktion beim Sender
SFB 4 Radio Multikulti
, die mit Geld vom Staat unterstützt wird. Sie hat natürlich viel mehr Freiraum. Jeden Tag sendet sie eine halbe Stunde lang und hat eigene Korrespondenten in fast allen Bundesländern. Die Russen werden hier in fast allen Lebensbereichen von fachkundigem Personal beraten. Von besonderem Interesse sind solche Radioprogramme wie die »Ratschläge eines Doktors« und der »juristische Ratgeber«. Der Mediziner bekämpft ständig die weit verbreitete paranoide Angst der Russen, alle Lebensmittel im Westen seien mit Chemikalien vergiftet. Er erzählt, wie man sich hier trotz der komplizierten Lage gesund ernähren kann. Der Jurist berät die Neuankömmlinge bei ihren Rechtsproblemen. »Ich habe vor kurzem einen jungen Deutschen geheiratet und bin zu ihm gezogen«, erzählt eine Russin aus Celle, »und nun habe ich eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre von der deutschen Behörde bekommen. Wenn meinem Mann plötzlich etwas zustößt, wenn er beispielsweise bei einem Autounfall ums Leben kommt, wird mir dann meine Aufenthaltsgenehmigung entzogen oder nicht?«
    »Sehr geehrte Frau

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