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Schoenhauser Allee

Titel: Schoenhauser Allee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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aus Celle«, antwortet der Jurist, »Ihnen wird in dem Fall Ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht entzogen, aber es wäre trotzdem besser, wenn Ihr Mann noch ein paar Jahre länger leben würde.«

Berühmte Persönlichkeiten auf der Schönhauser Allee: Bill Clinton
    Noch nie war die Schönhauser Allee so grün gewesen: Dutzende von Polizisten auf Motorrädern, in Streifen- und Mannschaftswagen oder einfach zu Fuß, durchkämmten unermüdlich die Gegend. Sie fuhren die Straße rauf und runter, rauf und runter, sie manövrierten und drehten Kreise um uns herum, bis uns richtig schwindlig wurde. Ab und zu kamen kleine Flugzeuge ohne Beschriftung direkt vom Himmel auf uns zu und fotografierten. Mein Freund Juri schrie auf einmal vor lauter Schreck. Der Gullideckel, auf dem er gerade stand, fing plötzlich an sich zu bewegen. Er sprang sofort zur Seite und aus dem Gulli kletterte ein schwarzer Marineoffizier in weißer Uniform. Er roch stark nach Scheiße. In einer Hand hielt er einen riesigen Schraubenzieher in der anderen ein Funkgerät. Er zwinkerte uns mit einem Auge zu, machte den Gullideckel wieder zu und plombierte ihn. Danach murmelte er etwas, das wie »minenfrei« klang, auf Englisch in sein Funkgerät und verschwand. Juri und ich näherten uns vorsichtig dem Gullideckel. Oben drauf hatte er in fetten Buchstaben SFOR gestempelt.
    »Was hat der Offizier eigentlich gerade gesagt?«, fragte ich Juri, der des Englischen mächtig ist.
    »Der unterirdische Bereich Nummer 54 ist gesichert, hat er gesagt«, meinte Juri.
    »Dann sind wir hier ja auch sicher«, sagte ich erleichtert.
    »Das würde ich nicht behaupten«, widersprach mir Juri. »Wir befinden uns innerhalb der Sperrzone. Ich verstehe sowieso nicht, warum sie alle Passanten von hier vertrieben haben, und nur uns nicht. Entweder haben sie uns als solche nicht wahrgenommen, oder wir sind für die Polizei unsichtbar geworden.«
    »Die zweite Variante könnte unser Leben grundsätzlich verändern«, meinte ich. Trotzdem beschlossen wir, den Kollwitzplatz zu verlassen. Dort landete gerade ein Polizei-Hubschrauber und zielte mit einem Megafon auf das einzige Kind, das wahrscheinlich noch aus Versehen in dem Sandkasten saß. »Sie befinden sich innerhalb der Polizeisperre, identifizieren Sie sich«, ertönte es aus dem Megafon.
    »Er meint doch nicht uns«, sagte ich verzweifelt zu Juri, »er meint doch das Kind.«
    »Ich bin kein Kind«, sagte der Junge aus dem Sandkasten.
    »Nehmen Sie Ihren Finger aus der Nase!« Die Stimme aus dem Lautsprecher klang noch aggressiver als zuvor.
    »Scheiße, er meint doch uns!«, begriffen wir, und liefen so schnell wie wir nur konnten weg.
    Zur gleichen Zeit joggte Bill Clinton die Kollwitzstraße runter. »Was für eine wunderschöne Gegend«, dachte er. »Keiner kennt mich hier, alle lächeln so freundlich. Vielleicht kann man hier auf die Schnelle was Leckeres essen?« Da sah er eine Kneipe, die »Guglhupf« hieß. »Was für ein schönes Wort«, dachte Clinton. »Da schau ich mal rein!« Gesagt, getan. Er bestellte sich eine Portion leckere Spätzle mit Hasenbraten.
    Die Bedienung erkannte ihn sofort: »Guten Tag, Herr Präsident. Es ist schon alles vorbereitet!«
    Clinton nickte freundlich und aß einen ganzen Teller auf. In dem Moment kam seine Protokollchefin herein.
    »Ach, hier sind Sie, wir haben die ganze Zeit im ‘Pasternak’ auf Sie gewartet!«
    »Hier sind die Spätzle aber besonders gut«, verteidigte sich Clinton und ging.

Trainspotting in Berlin
    Unser Hauptmeditationsobjekt ist kaputt: kein Zugverkehr mehr vor dem Fenster. Seit einem Monat wird die U-Bahn-Linie 2 repariert. Früher konnte ich mich von meinem Balkon aus fast mit den Zugführern unterhalten. Sie hupten mir jedes Mal freundlich zu, wenn sie an unserem Haus vorbeifuhren, und ich hupte zurück, so gut ich konnte. Alle Zugführer hatten einen Koffer bei sich, den sie zwischen ihren Beinen auf dem Boden der Fahrerkabine abstellten.
    »Was ist wohl in dem Koffer drin?«, fragten meine Frau und ich uns jedes Mal. »Schmalzstullen, von den Ehefrauen der Zugführer zubereitet«, meinte Olga. Ich war dagegen der Meinung, dass sich in dem Koffer Ersatzschuhe und der gerade aktuelle Fahrplan befanden. Letzteres, damit die Zugführer immer nachschauen konnten, ob sie noch auf dem richtigen Gleis waren. Vielleicht lagen wir aber beide mit unseren Vermutungen falsch. Gerade als wir nachfragen wollten, wurde die Linie U2 plötzlich eingestellt. Nun läuft eine

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