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Schoenhauser Allee

Titel: Schoenhauser Allee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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einem Container mit Büchern zusammen, die alle von vergangenen, nicht mehr vorhandenen gesellschaftlichen Lüsten erzählen:
Die Lust zum Braten
, ein Kochbuch mit einem fettigen Krustenbraten auf dem Cover,
Buddhismus: eine Religion der Zukunft,
dann noch ein Sachbuch:
Die Beschneidung der weiblichen Sexualität
 – 600 Seiten mit Skizzen und Zeichnungen. Mit diesem Container lässt sich die Welt besser verstehen. »Die Menschen haben keine Lust mehr am Backen«, notiere ich mir und gehe friedlich gestimmt weiter. Wieder eine neue Erkenntnis gewonnen.
    Jedes Buch bewegt sich in dieser Buchhandlung von rechts nach links. Rechts liegen die reduzierten Titel, die aber immer noch gutes Geld kosten, links steht der Container der Schande, in dem die Bücher für 2,95 DM liegen, zum Preis von unbedrucktem Toilettenpapier.
    Neulich entdeckte ich darin fünf neue Titel, alles über 400 Seiten dicke Schwarten: Bill Gates,
Der Weg nach vorn
, früher 49,90 DM jetzt für zwei Mark zu haben.
Positives Denken: So werden Sie glücklich und erfolgreich,
dann
Die Akte Graf: Reiche Steffi – armes Kind
sowie
Die Nazis: eine Warnung der Geschichte
. Dazu noch oben drauf
Serienmörder des 20. Jahrhunderts
mit einem Vorwort von Professor Dr. Schurich.
    »Serienmörder werden von Freunden und Bekannten oft als ganz normale, unauffällige Menschen beschrieben, es könnte immer einer von uns sein«, schreibt der Professor in seinem Vorwort. Es kann durchaus einer von euch sein, dachte ich sofort, ich hatte Wissenschaftlern schon immer misstraut.
    Auf einmal schien es mir, als wären in diesem Container Antworten auf alle Fragen zu finden, wenn man nur dahinter käme, was Steffi Graf, Bill Gates, die Serienmörder und die Nazis gemeinsam hatten. Ich überlegte den ganzen Tag, mir fiel aber nichts dazu ein. Eigentlich hatten sie gar nichts Gemeinsames, außer dass sich heutzutage anscheinend keine Sau mehr für sie interessierte. Ich ließ aber nicht locker und suchte weiter nach dem geheimen Sinn.
    In der darauffolgenden Nacht hatte ich einen Albtraum:
    Steffi Graf, Bill Gates, zwei nette SS-Offiziere und ein unauffälliger junger Mann, der wahrscheinlich ein Serienmörder war, saßen zusammen auf einer Bank. Steffi hatte einen Tennisschläger in der Hand und winkte ständig damit herum. Das machte alle nervös.
    »Spielen wir eine Runde«, schlug sie den SS-Offizieren vor. Die beiden wollten sich anscheinend nicht blamieren: »Ein anderes Mal vielleicht, heute keine Lust«, entschuldigen sie sich. Bill Gates tippte irgendetwas auf seinem Laptop, der Serienmörder schaute ihm über die Schultern, und seine Lippen bewegten sich lautlos.
    »Sagt mal Leute«, rief ich aus, »habt ihr nicht etwas Gemeinsames?« Sie schwiegen.
    Am nächsten Tag wandte ich mich mit der Frage an meine Frau, die schneller als ein Computer denkt, über alles Bescheid weiß, und sogar unter gewissen Umständen infrarot sehen kann. Sie machte gerade den Abwasch. Unauffällig wie ein Serienmörder schlich ich in die Küche: »Sag mal Liebes, was könnten deiner Meinung nach Bill Gates, Steffi Graf, Serienmörder und Nazis gemeinsam haben?«, fragte ich vorsichig.
    »Zielstrebigkeit und die Vorliebe für Perfektion«, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen. »Sie haben sich von vorneherein unerreichbare Ziele gesetzt, die Illusion eines ewigen Sieges, die immer zum persönlichen Scheitern führt. Der Sieg ist nämlich die Weisheit der Schufte«, sagte sie und warf die Essensreste in den Müllsack.

Hexen auf der Schönhauser Allee
    Mein Freund Juri kam eines Abends zu mir und strahlte vor Freude. »Ich habe eine so schöne Frau kennen gelernt, die schönste überhaupt«, erzählte er. »Sie heißt Veronika, sieht aus wie eine ägyptische Königin, trägt ausgefallene Klamotten und hat schwarze, glatte Haare. Wir haben uns verabredet und gehen morgen Abend zusammen auf den Friedhof.«
    »Wo hast du diese Veronika kennen gelernt?«, fragte ich Juri.
    »Vor den ‘Schönhauser Arcaden’. Sie kam zu mir, und fragte, ob ich Feuer hätte und eine Zigarette.« Während er mir das erzählte, tanzte Juri in meiner Wohnung herum.
    »Du bist völlig durchgedreht mein Freund«, warnte ich ihn. »Diese Veronika ist doch die Hexe von der Schönhauser Allee. Du hast sie jetzt schon zum vierten Mal kennen gelernt und kannst dich daran überhaupt nicht erinnern. Unser ehemaliger Freund Maxim hatte sie schon vor zwei Jahren an derselben Stelle wie du entdeckt und musste teuer

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