Schoenhauser Allee
dafür zahlen.«
Juri erblasste. »Das stimmt tatsächlich! Jetzt wo du es sagst. Aber warum ist es mir früher nicht aufgefallen?«
»Weil sie dich wieder mal verzaubert hat«, erklärte ich und versaute ihm dadurch gänzlich die Laune. Um ihn aufzumuntern, holte ich eine Flasche Wodka aus dem Kühlschrank. Die Erinnerung an Maxim und seine Freundin, die Hexe Veronika, sorgte bei uns stets für Gänsehaut. Eigentlich war sie sehr nett. Einmal waren wir zusammen an einer Kirche vorbeigegangen. »Lass uns reinschauen«, hatte Maxim vorgeschlagen.
»Ohne mich«, sagte Veronika sofort. »Ich fühle mich in Kirchen unwohl.«
»Aber wieso denn?«, wunderten wir uns.
»Ach, ich weiß nicht, aber jedes Mal, wenn ich in eine Kirche gehe, bekomme ich entsetzliche Kopfschmerzen, einen Schluckauf, und es juckt dann bei mir an allen möglichen Stellen. Manchmal kommt auch Rauch aus mir heraus«, erzählte sie uns.
»Dann gehen wir lieber nicht in die Kirche«, hatte Maxim damals gesagt. Er war in Veronika verliebt und wollte nicht, dass ihr etwas zustieß.
Ein anderes Mal hatten wir Maxim zu Hause besucht. Er kochte in der Küche, Veronika saß mitten im Wohnzimmer auf einem großen roten Besen und las ein Buch.
»Wolltest du gerade fegen?«, fragten wir sie naiv.
»Eigentlich nicht«, antwortete sie verlegen. »Ich sitze einfach gern auf einem Besen. Das bringt mich auf gute Gedanken.«
Sie schien manchmal merkwürdig, doch damals wusste noch keiner von uns, wer Veronika wirklich war. Wir dachten, dass sie uns nur etwas vormachen und ihren ausgefallenen Geschmack zeigen wollte. »Lasst uns auf dem Friedhof spazieren gehen, Jungs. Es ist so toll traurig und ruhig dort, man kann beinahe die Stimmen der Verstorbenen hören«, schlug sie immer wieder vor.
Den endgültigen Beweis, dass Veronika eine Hexe war, brachte uns schließlich Bulle, der Kater von Maxim. Diesen Kater hatte Maxim vor einigen Jahren im Hof seines Hauses an einem Kastanienbaum hängend gefunden. Er holte das Tier herunter, gab ihm den Spitznamen Bulle, und päppelte ihn liebevoll hoch. Der Bulle übernahm schnell alle Eigenschaften seines neuen Besitzers: Er war frech, faul, fraß alles, was er kriegen konnte, und blieb trotzdem mager wie ein Handfeger. Bulle war schwarz mit weißen Flecken an den Beinen, am Bauch und am Schwanz.
Eines Tages im Winter, gleich nachdem Veronika zu Maxim gezogen war, verschwanden die weißen Flecken quasi über Nacht. Mit Erstaunen drehten wir den Kater einmal so herum und einmal anders herum – die weißen Flecken waren einfach weg. Der Kater war schwarz wie ein Brikett.
»Wie konnte das nur passieren?«, fragten wir Veronika, die wie immer auf einem Besen in der Ecke saß, ein Buch las und dabei Fernsehen kuckte.
»Keine Ahnung«, sagte sie, »vielleicht ist der Kater auf dem Heizungsrohr eingeschlafen und hat sich verkohlt.« Sie wunderte sich keine Sekunde darüber und las ihr Buch weiter.
In diesem Augenblick wurde uns klar, dass Veronika eine Hexe war. Unser Freund Maxim veränderte sich auch. Er wurde verschlossener und nachdenklicher, kaufte für sich und seine Freundin immer wieder neue Besen und rauchte manchmal an den unpassendsten Orten. Einmal wollte er mit uns zusammen ein italienisches Restaurant namens »San Marco II« nur deswegen nicht betreten, weil dort irgendwelche Reproduktionen von Heiligen an den Wänden hingen. Später entfremdete er sich gänzlich unserer Gesellschaft und verschwand. Veronika treffe ich aber immer mal wieder in der Nähe der »Schönhauser Arcaden«. Entweder ist sie auf dem Weg zu einem Handwerkergeschäft oder gerade dabei, jemanden aufzureißen – sei es den sportlichen Verkäufer im »T-Punkt« oder den aufgeregten Tierschützer vor seinem Protestplakat –, um sie anschließend zu verhexen.
Das Internet auf der Schönhauser Allee
Das XXI. Jahrhundert macht sich auf unserer Straße bemerkbar. Noch vor ein paar Jahren gab es in dieser Gegend recht wenig davon zu sehen. Zu den Hauptsehenswürdigkeiten des Bezirks zählten zweieinhalb besetzte Häuser, ein Filmtheater und ein Planetarium. Die Bewohner flanierten zwischen dem »Penny«- und dem Flohmarkt, wo sie ihren Kaufrausch befriedigten. Ein Copyshop galt schon als eine überaus fortschrittliche Einrichtung. Doch die Zeiten haben sich geändert. Jetzt ist unsere Gegend mit Gourmetrestaurants und Fitnesscentern geradezu gespickt, die Allgemeinmediziner schulen zu Psychoanalytikern um, aus dem Filmtheater wurde ein
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