Schoenhauser Allee
Multiplex, in dem man sich zehn Filme gleichzeitig ansehen kann, und viele Imbissbuden werden zu Internetcafés umgebaut.
Auch unser Freund Mehmet will seinen Imbiss ans Netz bringen, also überall Monitore aufstellen und dazu Baguettes verkaufen. »Das Internet ist unsere Zukunft«, sagt er. Mein Freund, der Bildhauer Iwanow, und ich bedauern seine Entscheidung. Für uns war sein Laden eine Insel ursprünglicher Harmonie jenseits der Zivilisation. Wir verbrachten hier oft unsere Nachmittage, um uns von zu Hause zu erholen. Hier gab es nicht einmal einen Fernseher, es roch angenehm nach Fett, und ewig drehten sich die Broiler im Schaufenster. Und nun das. Mehmet hatte sogar schon eine Ausstattungsfirma beauftragt, seinen Laden zukunftsfähig zu machen. Dann wandte er sich neulich an den Bildhauer Iwanow, ob der ihm nicht ein riesengroßes Internet an die Wand malen könne.
Iwanow hat schon mehrere Kneipen im Bezirk künstlerisch ausgestaltet. Der Mann hat eine Gabe, die man bei den heutigen bildenden Künstlern nur noch selten findet: Er kann alles malen. Seine Fische für die vietnamesische Sushi-Bar und die Kakteen für ein mexikanisches Restaurant haben ihm viel Ruhm im Bezirk eingebracht. Außerdem ist er preiswert und kreativ und geht auf die Wünsche der Auftraggeber ein. So wollten die Vietnamesen beispielsweise, dass alle Fische Sushi im Maul halten, und er hat ihnen diesen Wunsch sofort erfüllt, obwohl die Tiere danach aussahen, als hätten sie sich verschluckt und würden gleich kotzen. Die Kakteen für das mexikanische Restaurant hatten kleine Pfötchen, in denen sie verschiedene Mixgetränke hielten. Von Kneipe zu Kneipe kann man hier inzwischen die künstlerische Laufbahn von Iwanow studieren. Er wird immer besser und hat keine Scheu vor Experimenten.
Als Mehmet ihn bat, ein Internet an die Wand zu malen, zögerte Iwanow keine Sekunde: »Nichts leichter als das«, sagte er. »Ich male dir ein solches Internet an die Wand, dass die Konkurrenz vor Neid erblasst und schließen muss, um sich nicht zu blamieren.«
»Ich möchte aber, dass dort auch Baguettes als Motiv vorkommen«, sagte Mehmet.
»Mein lieber Freund«, brüllte Iwanow weiter, »ich male dir ein Internet mit Baguettes, mit Kaffee und Döner, ich male dir alles, was dich glücklich macht!«
Ich wunderte mich. Iwanow war an dem Abend ein wenig betrunken, aber doch nicht betrunken genug, um ein Internet mit Baguettemotiven malen zu wollen. Das Internet ist kein Fisch und kein Kaktus, es ist eine Kopfgeburt, eine nicht fassbare Größe, deren optische Darstellung viel Mut und Phantasie erfordert. Dazu noch mit Baguettemotiven... Zum ersten Mal zweifelte ich an den Fähigkeiten meines Freundes. Aber er sagte zu Mehmet: »Gib mir die Schlüssel von deinem Laden, am Montag hast du ein Internet an der Wand. Riesengroß.« Iwanow zeigte mit den Händen, wie groß das Internet werden würde.
»Und Baguettes mit Salami und Schinken«, erinnerte ihn Mehmet noch einmal, und händigte die Schlüssel aus.
Am folgenden Sonntag nahm Iwanow zwei Eimer Farbe und ging in den Laden. Ich beschloss, ihn zu begleiten, um dem Künstler bei der Arbeit zuzuschauen. Im Laden angekommen, packte Iwanow sein Werkzeug aus. Danach rauchte er eine große Tüte, und pinselte in drei Stunden ein riesengroßes Internet an die Wand. Er ließ es trocknen, nahm dann einen anderen Pinsel und brachte damit die Baguettes ins Bild. Es war erstaunlich. Die Baguettes saßen wie angegossen und passten auch farblich so perfekt zum Internet, als würden sie dazugehören. Anschließend wischte der Bildhauer die kleinen Farbpfützen auf dem Fußboden auf, die aus dem Internet getropft waren.
»Fertig!«, sagte er, und lächelte milde.
Ich war von seiner Leistung beeindruckt. »Genauso habe ich mir das Internet immer vorgestellt«, sagte ich und gratulierte dem Künstler zu seinem neuen Werk. Dann gingen wir zum Mexikaner, um uns zu erfrischen.
Am Montag kam Mehmet in seinen Laden und wurde von uns schon erwartet. Als er das Internet an der Wand sah, bekam er einen Schock. Ich hatte zuvor noch nie gesehen, dass die Kunst eine solche Wirkung auf Menschen ausüben konnte. Seine Augen wurden ganz rund, Schweißperlen bedeckten seine Stirn, der Mund öffnete sich. Eine Ewigkeit verging, bis Mehmet wieder sprechen konnte.
»Was ist das?«, fragte er mit gepresster Stimme.
»Das ist ein Internet mit Baguettemotiven, wie gewünscht«, antwortete Ivanow bescheiden, und klopfte Mehmet auf
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