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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Auf dem Tisch zwei Broschüren – »Über das Unhygienische der Frauenunterkleidung«, verfaßt von dem Privatdozenten für Frauenheilkunde und Geburtshilfe A. N. Solowjow, und »Mitteilungen der Gesellschaft zur Verbreitung praktischer Kenntnisse unter gebildeten Frauen«.
    An der Wand ein Werbeplakat:
     
    HYGIENISCHE DAMENKISSEN
    Hergestellt aus Zellstoffwatte.
    Eine sehr bequeme Binde mit Gürtel,
    zu tragen von Damen während der Periode.
    Der Preis für das Dutzend 1 R. Der Preis für
    den Gürtel 40 Kop. bis 1R. 50 Kop.
    Pokrowka-Straße, Jegorow-Haus
     
    Anissi stieß einen Seufzer aus und stammelte: »Warum ich mich entschlossen habe, mich gerade an Sie zu wenden, Frau Neswizkaja. Ich, müssen Sie wissen, habe nämlich gehört, daß Sie in höchstem Maße qualifiziert sind, obwohl die Stellung, die Sie einnehmen, nicht dem entspricht, was einer so gelehrten Frau zukäme … Das heißt, ich habe nicht das geringste gegen den Beruf der Hebamme … Es liegt mir fern,ihn herabzusetzen oder, Gott behüte, anzweifeln, ganz im Gegenteil …«
    Es schien ihm recht gut gelungen zu sein, er war vor Verwirrung sogar errötet, aber da verblüffte ihn die Frau: Sie packte ihn bei den Schultern und drehte sein Gesicht zum Licht.
    »Sieh mal an, diesen Augenausdruck kenne ich doch. Sind Sie vielleicht Polizeispitzel? Ihr arbeitet mit Finten und habt euch sogar eine Schwachsinnige besorgt. Was wollt ihr noch von mir? Warum laßt ihr mich nicht endlich in Ruhe? Wollt ihr mir unerlaubtes Praktizieren anhängen? Der Direktor weiß davon.«
    Sie stieß ihn angewidert beiseite. Anissi rieb sich die Schultern – war das ein Griff. Sonja schmiegte sich erschrocken an den Bruder und plärrte. Er streichelte ihr den Kopf.
    »Bist du erschrocken? Die Tante macht nur Spaß, ein Spiel. Sie ist eine gute Frau, eine Doktorin … Jelisaweta Andrejewna, Sie befinden sich im Irrtum, was mich betrifft. Ich bin in der Kanzlei Seiner Erlaucht des Generalgouverneurs angestellt. Auf einem niederen Posten natürlich. Ein kleines Licht. Tulpow, Sekretär. Soll ich Ihnen meine Dokumente zeigen?«
    Er breitete verwirrt die Arme aus, lächelte befangen.
    Ausgezeichnet! Sie bekam ein schlechtes Gewissen, und das war das Beste, um eine »Löwin« zum Reden zu bringen.
    »Entschuldigen Sie, ich sehe überall … Sie müssen verstehen …«
    Mit zitternder Hand nahm sie eine Papirossa vom Tisch und zündete sie an, was ihr allerdings erst mit dem dritten Streichholz gelang. Sieh an, die eiserne Doktorin.
    »Entschuldigen Sie, daß ich schlecht von Ihnen gedachthabe. Ich bin mit den Nerven runter. Und dann noch die Jermolajewa … Ach ja, Sie haben sie ja gerettet, das hatte ich ganz vergessen … Ich muß Ihnen etwas erklären. Ich weiß nicht, warum, aber ich möchte, daß Sie verstehen …«
    Sie möchten mir etwas erklären, meine Gnädige, antwortete ihr Anissi in Gedanken, weil Sie eine »Löwin« sind und ich mich wie ein »Häschen« benehme. »Löwinnen« vertragen sich am besten mit sanften, schutzlosen »Häschen«. Psychologie, Jelisaweta Andrejewna.
    Aber neben der Genugtuung empfand Anissi auch ein moralisches Unbehagen – Spitzel war er zwar nicht, aber er arbeitete bei der Fahndung, und die Schwester hatte er als Vorwand mitgebracht. Die Ärztin hatte schon recht.
    Sie hatte hastig, in ein paar Zügen die Papirossa geraucht und zündete sich eine zweite an. Anissi wartete und klapperte kläglich mit den Augen.
    »Rauchen Sie?« Sie hielt ihm die Schachtel hin.
    Eigentlich rauchte Anissi nicht, aber »Löwinnen« führen die andern gern am Gängelband, darum nahm er eine Papirossa, zog den Rauch ein und mußte husten.
    »Ja, die sind etwas stark.« Die Ärztin nickte. »Alles Gewohnheit. Im Norden ist der Tabak kräftig, und ohne Tabak hält man es dort im Sommer nicht aus – Mücken, Schnaken.«
    »Dann sind Sie aus dem Norden?« fragte Anissi naiv und streifte unbeholfen die Asche ab.
    »Nein, ich bin in Petersburg geboren und wuchs dort als Mamas Liebling auf. Aber als ich siebzehn war, kamen Männer in blauen Uniformen mit einer Droschke vorgefahren, holten mich von Mama weg und sperrten mich in die Festung.«
    Sie sprach abgehackt. Ihre Hände zitterten nicht mehr, ihreStimme wurde scharf, die Augen verengten sich böse, aber jetzt war nicht Anissi der Grund, das war klar.
    Sonja hatte sich auf den Stuhl gesetzt und schniefte, an die Wand gelehnt, vor sich hin – die Eindrücke hatten sie ermüdet.
    »Aber weshalb denn?« fragte

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