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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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waren eine Gruppe von Taugenichtsen, anderthalb Dutzend. Studenten der medizinischen Fakultät und zwei Mädchen, die die Höheren Frauenkurse besuchten. Es war eine finstere, rauhe Zeit. Das Jahr, in dem die Nihilisten denBefreierzaren 1 in die Luft sprengten. Wir waren auch Nihilisten , bloß ohne Politik. Für Politik hätten sie uns damals zu Zwangsarbeit verurteilt, oder zu noch Schlimmerem. So haben sie nur unseren Anführer Sozki in ein Militärgefängnis gesteckt. Ohne Gerichtsverhandlung, ohne Aufsehen, durch Ministererlaß. Die anderen wurden auf andere Fachrichtungen verteilt, Pharmazie, Chemie, Pathologie, sie waren unwürdig, den hehren Arzttitel zu tragen. Und wer wie ich keine einflußreichen Fürsprecher hatte, flog ganz raus.«
    »War das nicht zu hart?« fragte Anissi teilnahmsvoll. »Was haben Sie denn Furchtbares angestellt?«
    »Jetzt denke ich, daß es nicht zu hart war. Genau richtig … Wissen Sie, junge Menschen, die den Pfad der medizinischen Ausbildung beschritten haben, neigen mitunter zum Zynismus. In ihnen setzt sich die Meinung fest, daß der Mensch nicht das Ebenbild Gottes ist, sondern eine Maschine aus Gelenken, Knochen, Nerven und so weiter. In den unteren Kursen gilt es als flott, im Leichenschauhaus zu frühstücken und eine Flasche Bier auf den eben erst zugenähten Bauch eines ›Kadavers‹ zu stellen. Es werden auch vulgärere Scherze getrieben, die will ich jetzt nicht erzählen. Aber das sind alles noch die üblichen Streiche, wir jedoch sind weiter gegangen. Unter uns gab es gut Betuchte, so daß uns alle Möglichkeiten offenstanden. Gewöhnliche Ausschweifung reichte uns bald nicht mehr. Sozki, Gott hab ihn selig, hatte Phantasie. Er ist nicht aus dem Gefängnis zurückgekehrt, ist zugrunde gegangen. Sonst hätte er es weit gebracht. Wir fanden Gefallen an sadistischen Vergnügungen. So suchten wir uns besonders abstoßende Straßendirnen, gaben ihnen einFünfundzwanzigkopekenstück und kühlten unser Mütchen an ihnen. Einmal, in einem Halb-Rubel-Bordell, haben wir im Suff eine alte Nutte, die für drei Rubel zu allem bereit war, zu Tode gebracht … Der Fall wurde niedergeschlagen, kam nicht vor Gericht. Es wurde in aller Stille, ohne Skandal geregelt. Ich war anfangs wütend, daß mein Leben zerstört war, denn ich hatte mir das Studium vom Munde abgespart, hatte Nachhilfestunden gegeben, und meine Mutter hatte mir geschickt, was sie erübrigen konnte … Aber Jahre später begriff ich plötzlich, daß es richtig war.«
    Anissi sagte mit eingekniffenen Augen: »Wieso denn plötzlich?«
    »Eben so«, antwortete Stenitsch knapp und streng. »Ich habe Gott geschaut.«
    Irgendwas stimmt da nicht, dachte Anissi. Wenn ich ein bißchen daran kratze, kommt vielleicht auch die »Idee« zum Vorschein, von der der Chef gesprochen hat. Aber wie soll ich das Gespräch auf England bringen?
    »Das Leben hat Sie sicherlich herumgewirbelt? Haben Sie auch im Ausland Ihr Glück gesucht?«
    »Das Glück, nein, das habe ich nicht gesucht. Ausschweifung habe ich in verschiedenen Ländern gesucht. Und ich habe sie gefunden, der Herr vergebe mir.« Stenitsch bekreuzigte sich inbrünstig vor einer in der Ecke hängenden Ikone des Erlösers.
    Da sagte Anissi treuherzig: »Waren Sie auch in England? Davon träume ich, aber es wird mir wohl nicht beschieden sein. Alle sagen, ein höchst zivilisiertes Land.«
    »Merkwürdig, daß Sie nach England fragen.« Der ehemalige Sünder sah Anissi aufmerksam an. »Sie sind überhaupt ein merkwürdiger Herr. Was Sie auch fragen, es trifft genauins Schwarze. In England nämlich habe ich Gott geschaut. Davor führte ich ein unwürdiges, erniedrigendes Dasein und ließ mich von einem Tollkopf aushalten. Aber dann faßte ich einen Entschluß und änderte mit einem Schlag mein Leben.«
    »Sie haben doch selbst gesagt, daß Erniedrigung hilft, den Stolz zu überwinden. Warum haben Sie dann beschlossen, sich von diesem Leben loszusagen? Das ist unlogisch.«
    Anissi wollte Stenitsch dazu bringen, mehr über sein Leben in England zu erzählen, aber er hatte einen groben Fehler gemacht – er hatte mit seiner Frage die »Schildkröte« zur Verteidigung gezwungen, und das hätte er unter keinen Umständen tun dürfen.
    Und Stenitsch zog sich sofort in seinen Panzer zurück.
    »Wer sind Sie denn, daß Sie über die Logik meiner Seele befinden? Wozu habe ich mich überhaupt vor Ihnen ausgeheult?«
    Der Krankenpfleger bekam einen flammenden, haßerfüllten Blick, die

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