Schönheit der toten Mädchen
krepiert. In letzter Zeit sehe ich ihn dauernd, gestern zum Beispiel …«
»Tomberg hat sich dem Suff ergeben, Stenitsch ist übergeschnappt, Sozki verreckt, und Sacharow ist kein Chirurg geworden, sondern ein Leichenaufschlitzer der Polizei«, unterbrach der Hausherr rücksichtslos den Sprecher, blickte dabei aber nicht Sacharow an, sondern Fandorin.
»Wen hast du denn da mitgebracht, Jegorka, du englische Fresse? Ich kann mich nicht erinnern, daß wir so einen Flegel in unserer medizinischen Bruderschaft hatten.«
Sacharow, der Judas, rückte demonstrativ von Fandorin ab und erklärte unbefangen: »Meine Herren, das ist Erast Petrowitsch Fandorin, eine in gewissen Kreisen wohlbekannte Person. Er steht im Dienst des Generalgouverneurs und ist für besonders wichtige Kriminalfälle zuständig. Er wollte unbedingt mitkommen. Ich konnte es nicht ablehnen – er vertritt die Obrigkeit. Ich bitte, ihn freundlich aufzunehmen.«
Empörtes Stimmengewirr. Einer sprang auf, ein anderer klatschte höhnisch Beifall.
»Was zum Teufel hat das zu bedeuten?«
»Diese Herren machen vor nichts mehr halt!«
»Man sieht ihm aber nicht an, daß er ein Greifer ist.«
Diese und ähnliche Bemerkungen, die von allen Seiten kamen, machten, daß Fandorin erbleichte und die Augen zusammenzog. Die Sache nahm eine unangenehme Wendung. Fandorin sah den tückischen Arzt durchdringend an, aber ehe er ihm etwas sagen konnte, war der Hausherr in zwei Schritten bei dem ungebetenen Gast und packte ihn mit eisernem Griff bei den Schultern.
»In meinem Haus gibt es nur eine Obrigkeit – Kusma Burylin«, blaffte der Millionär. »Zu mir kommt man nicht ungebeten, und schon gar nicht als Greifer. Und wer es einmal getan hat, tut es nie wieder.«
»Kusma, weißt du noch, beim Grafen Tolstoi?« rief der Langhaarige. »Wie wir dort den Reviervorsteher auf den Bären gesetzt und in den Fluß getrieben haben! Das machen wir auch mit diesem Stutzer! Unserm Petz wird es guttun, der ist so träge geworden.«
Burylin warf den Kopf zurück und lachte schallend.
»Ach, Filja, alte Säuferseele, das schätze ich an dir, daß du solche Einfälle hast. He! Schafft Petz her!«
Einige von den Gästen, die noch nicht ganz berauscht waren, versuchten, den Hausherrn zur Vernunft zu bringen, aber schon führten zwei stramme Lakaien einen zottigen Bären mit Maulkorb aus dem Speisesaal an Ketten herbei. Der Bär brüllte beleidigt, wollte nicht gehen, versuchte sich immer wieder zu setzen, und die Lakaien schleiften ihn über den Boden, daß die Krallen über das spiegelblanke Parkett scharrten.Ein Kübel mit einer Palme wurde umgestoßen und krachte zu Boden, Erdklumpen flogen hoch.
»Das geht zu weit! Kusma!« rief Sensinow. »Wir sind doch keine kleinen Jungen mehr. Du kriegst Unannehmlichkeiten! Wenn du nicht damit aufhörst, geh ich!«
»Wirklich«, unterstützte noch ein Vernünftiger den Professor. »Das gibt einen Skandal, und davon hat keiner was.«
»Geht doch zum Teufel!« schnauzte Burylin. »Aber ihr müßt wissen, ihr Klistierspritzen, daß ich für die ganze Nacht das Etablissement von Madame Joli gemietet habe. Dann fahren wir eben ohne euch hin.«
Nach diesen Worten verstummten die Stimmen des Protests.
Fandorin stand friedlich da. Er sagte kein Wort und machte nicht den leisesten Versuch, sich zu befreien. Seine dunkelblauen Augen waren ohne jeden Ausdruck auf den entfesselten Hausherrn gerichtet.
Der befahl den Lakaien: »Dreht den Petz um, damit er den Greifer nicht zerkratzt. Habt ihr ein Seil mitgebracht? Dreh du ihm auch den Rücken zu, du Beamtenseele. Afonja, kann der Petz schwimmen?«
»Aber ja, Kusma Sawwitsch. Wenn wir im Sommer auf dem Landsitz sind, planscht er sehr gern«, antwortete fröhlich ein Lakai mit dichtem Schopf.
»Jetzt wird er auch planschen. Allerdings ist das Aprilwasser noch ein bißchen kalt. Was sperrst du dich denn!« herrschte Burylin den Kollegienrat an. »Dreh dich um!«
Er umklammerte Fandorins Schultern und versuchte ihn umzudrehen, doch der Kollegienrat bewegte sich keinen Zentimeter, als wäre er aus Stein gehauen. Burylin spannte alle Kräfte an. Sein Gesicht wurde puterrot, auf der Stirn tratendie Adern hervor. Fandorin blickte ihn noch immer ruhig an, doch in den Mundwinkeln spielte ein leises Lächeln.
Burylin ächzte noch ein bißchen, fühlte aber, daß er sich lächerlich machte, nahm die Hände weg und starrte den sonderbaren Beamten betroffen an. Im Raum war es sehr still
Weitere Kostenlose Bücher