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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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unbeweglich, mit steinernem Gesicht dastand, die Spitzen des schwarz gefärbten Schnurrbarts leise zitterten. Linkow hatte die Augen zusammengekniffen und bewegte die Lippen – er betete wohl. Die Totengräber guckten gleichgültig, sie hatten bei ihrer groben Arbeit schon so manches gesehen. Der Wärter Pachomenko schaute traurig und teilnahmsvoll auf die Leichen. Er wechselte einen Blick mit Anissi und schüttelte kaum merklich den Kopf, was wohl bedeutete: Ach, Menschen, Menschen, was tut ihr euch an. Diese schlichte Bewegungbrachte Anissi endgültig zu sich. Sieh dir die Verdächtigen an, befahl er sich selbst. Nimm dir ein Beispiel an Ishizyn.
    Da steht der ehemalige Student Stenitsch, knackt mit den schmalen Fingern, und auf seiner Stirn sind große Schweißperlen. Man kann sicher sein, daß es kalter Schweiß ist. Verdächtig? Und wie!
    Der andere ehemalige Student, der Ohrabschneider Burylin, ist wiederum etwas zu ruhig: Über sein Gesicht huscht ein spöttisches Lächeln, in den Augen funkeln böse Lichter. Aber der Millionär tut nur so, als ob ihm das alles nichts ausmacht – immerhin hat er vom Tisch eine Papiertüte genommen und drückt sie an die Brust. So etwas nennt man »unwillkürliche Reaktion«, auf die man, wie der Chef gelehrt hat, besonders achten muß. Ein Lebemann wie Burylin kann vor Übersättigung durchaus nach neuen, starken Empfindungen dürsten.
    Jetzt zur eisernen Lady Neswizkaja, der ehemaligen Festungsinsassin, die sich in Edinburgh aufs Operieren spezialisiert hat. Eine außergewöhnliche Person, von der man nicht weiß, wozu sie fähig ist und was man von ihr erwarten kann. Wie ihre Augen blitzen!
    Da bestätigte die »außergewöhnliche Person« unverzüglich, daß sie zu überraschenden Reaktionen fähig war.
    Ihre tönende Stimme zerriß die Friedhofsstille.
    »Ich weiß, auf wen Sie abzielen, Herr Opritschnik 2 !« schrie sie Ishizyn an. Das ist ja so bequem! Die ›Nihilistin‹ in der Rolle des blutgierigen Ungeheuers! Schlau! Die besondere Pikanterie besteht darin, daß es sich um eine Frau handelt, nicht wahr? Bravo, Sie werden es weit bringen! Ichwußte ja, zu welchen Verbrechen Ihre Bande fähig ist, aber das übersteigt wirklich alle Grenzen des Denkbaren!« Plötzlich stöhnte die Ärztin und griff sich ans Herz, erschüttert von einer Erkenntnis. »Ach, das haben Sie gemacht! Sie selber! Daß ich das nicht gleich gesehen habe! Ihre Henkersknechte haben diese Unglücklichen zerstückelt – um den ›Abschaum der Gesellschaft‹ tut es Ihnen ja nicht leid. Je weniger es davon gibt, um so leichter für Sie! Lumpen! Wollen Sie den ›Kastigator‹ spielen? Mit einer Klappe zwei Fliegen schlagen? Die Landstreicherinnen vermindern und auf die ›Nihilisten‹ einen Schatten werfen! Nicht gerade originell, aber wirksam!«
    Sie lachte haßerfüllt, mit zurückgeworfenem Kopf. Der Zwicker flog von der Nase und baumelte an der Schnur.
    »Schweigen Sie!« kreischte Ishizyn, der offenbar befürchtete, ihr Ausfall könnte seine Untersuchungspsychologie zunichte machen. »Unverzüglich! Eine Verunglimpfung der Staatsmacht lasse ich nicht zu!«
    »Mörder! Bestien! Satrapen! Provokateure! Strolche! Verderber Rußlands! Vampire!« schrie die Neswizkaja, und es war zu spüren, daß ihr Vorrat an Schimpfwörtern beträchtlich war und nicht so bald versiegen würde.
    »Linkow, Pribludko, stopft ihr den Mund!« Ishizyn verlor endgültig die Beherrschung.
    Die Polizisten gingen unschlüssig zu der Ärztin und faßten sie an der Schulter, wußten aber wohl nicht recht, wie sie einer anständigen Dame den Mund stopfen sollten.
    »Verflucht sollst du sein, du Bestie!« schrie sie und blickte Ishizyn in die Augen. »Du wirst einen jämmerlichen Tod sterben, wirst an deinen eigenen Intrigen verrecken!«
    Sie riß die Hand hoch und zielte mit dem Finger auf dasGesicht des Untersuchungsführers, und plötzlich krachte ein Schuß.
    Ishizyn machte einen Hüpfer, duckte sich und griff sich an den Kopf. Anissi war perplex: Konnte man denn mit dem Finger einen Menschen erschießen?
    Da brach dröhnendes Gelächter los. Burylin wedelte mit den Händen und wackelte mit dem Kopf, außerstande, den Anfall von unbändiger Heiterkeit zu bemeistern. Ach so war das. Der Witzbold hatte unbemerkt, während alle auf die Frau schauten, die Papiertüte aufgeblasen und dann auf den Tisch geknallt.
    »Aaah!« Ein unmenschlicher Laut, der das Gelächter des Fabrikanten übertönte, stieg zur Decke

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