Schönheit der toten Mädchen
die ganze Nacht dasitzen und heulen, und am Morgen, damit sie sich nicht langweilen, lasse ich sie der Reihe nach holen, und meine Jungs geben ihnen die ›Wurst‹ zu kosten. Wissen Sie, was das ist?«
Anissi schüttelte den Kopf.
»Eine feine Sache: ein Strumpf, gefüllt mit nassem Sand. Hinterläßt keine Spuren, ist aber sehr wirkungsvoll, besonders wenn man die Nieren und andere empfindliche Stellen damit bearbeitet.«
»Leonti Andrejewitsch, Sie sind doch ein gebildeter Mensch!« rief Anissi.
»Eben. Darum weiß ich, wann man die Vorschriften einhalten muß und wann das gesellschaftliche Interesse eine Verletzung der Vorschriften erlaubt.«
»Und wenn Sie sich nun irren und der Mörder überhaupt kein Fleischer ist?«
»Natürlich ist er ein Fleischer, was denn sonst.« Ishizynzuckte die Achseln. »Habe ich es Ihnen nicht überzeugend genug erklärt?«
»Aber vielleicht gesteht nicht der Schuldige, sondern der Kleinmütigste. Dann geht der wirkliche Mörder straffrei aus!«
Ishizyn wurde derart dreist, daß er sich erlaubte, Anissi gönnerhaft auf die Schulter zu klopfen.
»Ich habe auch das vorausgesehen. Natürlich wäre es unersprießlich, sollten wir jetzt irgendeinen Moische oder Abdullah hängen, und in drei Monaten findet die Polizei wieder eine ausgeweidete Nutte. Wir haben es hier mit einem besonderen Fall zu tun, der in die Kategorie der Staatsverbrechen hineinreicht. Immerhin mußte der allerhöchste Besuch abgesagt werden! Darum sind auch außergewöhnliche Mittel erlaubt.« Ishizyn ballte die Finger zur Faust, so daß die Gelenke knackten. »Einer kommt an den Galgen, die übrigen sechzehn werden ohne Aufsehen auf administrativem Weg in kalte, menschenleere Gegenden verfrachtet, wo es kaum jemanden gibt, den sie abstechen könnten. Außerdem wird die Polizei sie auch dort überwachen.«
Der »Plan« des entschlossenen Untersuchungsführers entsetzte Anissi, obwohl es schwer war, die Effektivität solcher Maßnahmen zu leugnen. Vielleicht sah die Moskauer Obrigkeit der Visite des gestrengen Grafen Tolstow mit solcher Furcht entgegen, daß sie diese Initiative billigte, aber damit wäre das Leben unschuldiger Menschen zerstört. Wie konnte man das verhindern? Ach, Erast Petrowitsch, wo stecken Sie bloß?
Anissi stöhnte, wackelte mit seinen berühmten Ohren, bat den Chef in Gedanken um Nachsicht für seine Eigenmächtigkeit und erzählte Ishizyn von den gestrigen Ergebnissender Ermittlung, damit der Untersuchungsführer sich nicht zuviel einbildete, damit er wußte, daß es außer der Fleischer-Variante noch andere, gediegenere Versionen gab.
Ishizyn hörte aufmerksam zu, ohne Anissi ein einziges Mal zu unterbrechen. Sein nervöses Gesicht wurde erst tiefrot, dann kreideweiß, schließlich fleckig, und die Augen sahen aus wie die eines Betrunkenen.
Als Anissi geendet hatte, leckte sich Ishizyn mit weißlicher Zunge die dicken Lippen und wiederholte langsam: »Eine nihilistische Hebamme? Ein übergeschnappter Student? Ein wirrköpfiger Kaufmann? So, so …«
Dann sprang er auf, lief durchs Zimmer und raufte sich die Haare, womit er seinem idealen Scheitel einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügte.
»Ausgezeichnet!« rief er und blieb vor Anissi stehen. »Ich freue mich sehr, daß Sie sich entschlossen haben, offen mit mir zusammenzuarbeiten. Zwischen uns darf es keine Geheimnisse geben, wir dienen doch der gleichen Sache.«
Anissi fühlte widerliche Kälte im Herzen. Er hatte einen Fehler gemacht. Ishizyn aber war nicht mehr zu bremsen.
»Also, versuchen wir’s. Die Fleischer lasse ich natürlich trotzdem festnehmen, die können einstweilen sitzen. Bearbeiten wir erst mal Ihre Mediziner.«
»Was heißt – bearbeiten?« Anissi geriet in Panik, als er an den Pfleger und die Ärztin dachte. »Mit der ›Wurst‹ oder wie?«
»Nein, mit diesen Leuten muß man anders umgehen.«
Ishizyn überlegte kurz, nickte sich selber zu und legte seinen neuen Aktionsplan dar: »Also, wir gehen folgendermaßen vor. Für die Gebildeten gelten andere Methoden. Die Bildung macht die Seele des Menschen weicher, empfindsamer.Wenn unser Bauchaufschlitzer der guten Gesellschaft angehört, ist er ein Werwolf: am Tage ein normaler Mensch wie alle, aber nachts, in der Raserei des Verbrechens, wie vom Satan besessen. Das müssen wir nutzen. Ich greife mir die Täubchen, wenn sie normal sind, und konfrontiere sie mit den Taten des Werwolfs. Mal sehen, ob ihre Empfindsamkeit dieses Bild erträgt. Ich
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