Schönheit der toten Mädchen
»Da tun Sie Erast Petrowitsch unrecht, Anissi Pitirimowitsch. Er hat mir zweimal in aller Form einen Heiratsantrag gemacht. Ich selbst wollte nicht.«
Anissi war fassungslos.
»Aber warum denn nicht?«
Wieder lächelte sie, aber dieses Lächeln galt nicht Anissi, sondern ihren Gedanken.
»Wenn man liebt, denkt man nicht an sich. Und ich liebe Erast Petrowitsch. Weil er sehr schön ist.«
»Das stimmt.« Anissi nickte. »Ein wirklich schöner Mann.«
»Davon rede ich nicht. Die körperliche Schönheit ist nicht von Dauer. Die Blattern oder eine Verbrennung, und schon gibt es sie nicht mehr. Im vorigen Jahr, als wir in England lebten, brach im Nachbarhaus ein Brand aus. Erast Petrowitsch ging hinein, um einen Hund aus den Flammen zu retten. Seine Kleidung und die Haare fingen Feuer. Auf der Wange hatte er eine große Brandwunde, Wimpern und Augenbrauen waren versengt. Er sah gar nicht mehr schön aus. Es hätte ja auch das ganze Gesicht entstellt sein können. Doch die wahre Schönheit ist nicht im Gesicht. Und Erast Petrowitsch ist schön.«
Das letzte Wort sprach Angelina mit besonderem Ausdruck, und Anissi verstand, was sie meinte.
»Aber ich habe Angst um ihn. Ihm ist eine große Kraft gegeben, und eine große Kraft ist eine große Versuchung. Ich müßte jetzt eigentlich in der Kirche sein, denn heute ist Gründonnerstag, Gedächtnis des Heiligen Abendmahls, aber ich Sünderin kann die vorgegebenen Gebete nicht sprechen. Ich bitte den Erlöser nur für ihn, für Erast Petrowitsch. Damit der Herr ihn bewahre – vor der Schlechtigkeit der Menschen und noch mehr vor dem Hochmut, der die Seele verdirbt.«
Bei diesen Worten blickte Anissi auf die Uhr und sagte beunruhigt: » Ehrlich gesagt, mir macht eher die Schlechtigkeit der Menschen Sorgen. Es ist schon nach eins, und er ist noch immer nicht da. Vielen Dank für Speis und Trank, Angelina Samsonowna. Ich gehe jetzt. Wenn Erast Petrowitsch kommt, schicken Sie nach mir, ich bitte Sie sehr.«
Auf dem Heimweg dachte Anissi über das Gehörte nach. In der Kleinen Nikitskaja, unter einer Gaslaterne, kam ein keckes Straßenmädchen auf ihn zugeflogen – im schwarzen Haar ein breites Band, die Augen angemalt, auf den Wangen Rouge.
»Einen schönen Abend auch, liebwerter Kafalier. Möchten Sie einem Mädchen nicht einen Wodka oder ein Likörchen spendieren?« raunte sie leidenschaftlich und bewegte die schwarzgefärbten Brauen. »Ich zeig mich auch erkenntlich, mein Schöner. Ich mach dich so glücklich, daß du’s dein Lebtag nicht vergißt …«
Anissi spürte in der tiefsten Tiefe seines Wesens einen Stich. Die Straßendirne sah nicht übel aus, gar nicht übel. Aber nach dem letzten Sündenfall, in der Butterwoche, hatteAnissi endgültig der käuflichen Liebe abgeschworen. Denn danach fühlte er sich jedesmal mies und hatte ein schlechtes Gewissen. Heiraten müßte er, aber wo sollte er Sonja lassen?
Er sagte mit väterlicher Strenge: »Du solltest dich zu nachtschlafender Zeit nicht draußen herumtreiben. Womöglich gerätst du an einen verrückten Unhold mit einem Messerchen.«
Aber die kecke Dirne blieb ungerührt.
»Ach, du bist aber fürsorglich«, prustete sie. »Keine Bange, mein Liebster paßt auf mich auf.«
Und richtig, auf der anderen Straßenseite zeichnete sich im Schatten eine Silhouette ab. Als der Zuhälter sah, daß er entdeckt war, kam er lässig näher. Schick war er: tief in die Stirn gezogene Bibermütze, geckenhaft offenstehender Pelzmantel, schneeweißer Schal bis zur Nase und weiße Gamaschen.
Er hob träge an zu sprechen, wobei ein Goldzahn aufblitzte: »Entschuldigen Sie, mein Herr. Entweder Sie nehmen das Fräulein, oder Sie gehen Ihrer Wege. Stehlen Sie einem werktätigen Mädchen nicht die Zeit.«
Das Mädchen blickte ihren Beschützer voller Vergötterung an, und das erboste Anissi noch mehr als die Frechheit des Zuhälters.
»Von dir laß ich mich grade belehren!« ereiferte er sich. »Ich bring dich ganz fix aufs Revier.«
Der Lude blickte rasch nach links und rechts, sah, daß die Straße leer war, und erkundigte sich, noch lässiger und mit drohendem Unterton: »Wirst du dir auch nichts abbrechen?«
»Na warte!«
Mit einer Hand packte Anissi den Strolch am Ärmel, mit der anderen riß er die Trillerpfeife aus der Tasche. Gleich hinterder Ecke, auf dem Twerskoi-Boulevard, stand ein Polizeiposten. Bis zur Gendarmerieverwaltung war es auch nur ein Katzensprung.
»Lauf, Ines, das mach ich allein!« befahl der
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