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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Auffälligkeiten im Verhalten und verdächtige Angewohnheiten bekannt seien, erkundigte sich auch nach den Familienverhältnissen. Saizew war beunruhigt, doch Anissi beschwichtigte ihn mit den Worten, es handle sich um eine wichtige, streng geheime Untersuchung, die besondere Wachsamkeit erfordere.
    Dann fuhr er zum Boshedomka-Friedhof. Er schaute bei Sacharow vorbei, um ihm guten Tag zu sagen. Hätte er es lieberunterlassen – der Griesgram knurrte etwas Unfreundliches und vertiefte sich in seine Papiere. Grumow war nicht da.
    Anissi suchte den Wärter auf, um etwas über die Totengräber zu erfahren. Er brauchte dem Ukrainer nichts zu erklären, und der stellte auch keine Fragen – ein einfacher Mann, aber gescheit und taktvoll.
    Zu den Totengräbern ging er allein, unter dem Vorwand, ihnen je einen Rubel für die Unterstützung bei der Ermittlung zu geben. Er bildete sich über die beiden sein eigenes Urteil. So, das wäre alles. Es war an der Zeit, nach Hause zu fahren und die Liste für den Chef zu schreiben.
    Als er das ausführliche Dokument fertig hatte, war es schon dunkel. Er ging noch einmal alle Namen durch und überlegte bei jedem, ob der wohl der Triebtäter sein könnte.
    Der Wachtmeister Sinjuchin: diensteifrig, steinernes Gesicht, bleierne Augen – weiß der Teufel, was in dem vorgeht.
    Linkow. Sieht aus, als könnte er keiner Fliege etwas zuleide tun, aber ein sehr seltsamer Polizist. Krankhafte Verträumtheit, verletzte Eigenliebe, unterdrückte Sinnlichkeit – da ist alles möglich.
    Der Totengräber Tichon Kulkow ist auch verdächtig – ausgemergeltes Gesicht, der Rachen voller Zahnlücken. Eine Visage – wenn man dem im Finstern begegnet, sticht er einen ab, ohne mit der Wimper zu zucken.
    Stop! Abstechen ja, aber kann er mit seinen knorrigen Pranken ein Skalpell handhaben?
    Anissi blickte noch einmal auf die Liste und stöhnte auf. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn, der Mund wurde trocken. Wie hatte er nur so blind sein können!
    Daß er nicht früher darauf gekommen ist! Als hätte ereinen Schleier vor den Augen gehabt. Alles paßt zusammen! Nur einer von der Liste kann der Ripper sein!
    Er sprang auf. Wie er war, ohne Mütze, ohne Schal, stürzte er zum Chef.
    Masa öffnete ihm, Fandorin war nicht da, Angelina auch nicht – sie betete in der Kirche. Nun ja, es war Karfreitag, die Glocken läuteten traurig zu Christi Grablegung.
    Ach, so ein Pech! Es war keine Zeit zu verlieren! Die heutige Befragung auf dem Friedhof war ein Fehler gewesen – der Täter hatte bestimmt alles erraten! Aber vielleicht war es gut so? Er hatte es erraten und würde reagieren. Das mußte überprüft werden! Der Freitag ging zur Neige, es blieb nur noch ein Tag!
    Eine Überlegung ließ ihn an der Richtigkeit seiner Erkenntnis zweifeln, aber in Fandorins Wohnung gab es ja ein Telephon. In dem Polizeirevier in der Mestschanskaja-Straße, das für den Boshedomka-Friedhof zuständig war, kannte man Tulpow, und er bekam trotz der späten Stunde unverzüglich Auskunft auf seine Frage.
    Anfangs war er sehr enttäuscht: 31. Oktober – das war zu früh. Der letzte belegte Londoner Mord war vom 9. November datiert, also stimmte die Version nicht. Doch Anissis Kopf arbeitete heute ausgezeichnet; wenn es immer so wäre, ließen sich alle Rätsel schnell lösen.
    Ja, die Leiche der Prostituierten Mary Jane Kelly wurde am Morgen des 9. November gefunden, doch zu dieser Zeit schipperte Jack the Ripper schon über den Kanal! Der Mord, der widerwärtigste von allen, war wohl sein »Abschiedsgeschenk« für London gewesen, verübt unmittelbar vor seiner Abreise auf den Kontinent. Man mußte prüfen, wann dort der Nachtzug abging.
    Alles andere fügte sich von selbst. Wenn der Ripper London am Abend des 8. November verlassen hatte, nach russischem Kalender am 27. Oktober, war er am 31. in Moskau angekommen!
    Fandorin und er hatten einen Fehler gemacht: Als sie anhand der Polizeiunterlagen die aus England eingereisten Personen überprüften, hatten sie sich auf Dezember und November beschränkt und die letzten Oktobertage außer acht gelassen. Daran war das verdammte Durcheinander mit den unterschiedlichen Kalendern schuld.
    Das war’s, jetzt stimmte die Version haargenau.
    Er lief kurz nach Hause: sich etwas Warmes anziehen, die »Bulldogge« einstecken und eine Scheibe Brot mit Käse essen – für ein richtiges Abendessen hatte er keine Zeit.
    Während er kaute, hörte er, wie Palascha silbenweise Sonja eine

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