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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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zu jeder Tages- und Nachtzeit Telegramme und Papiere, so daß sich das Mädchen nicht gewundert hätte. Weiter. Warum wurde ihr Leichnam nicht verstümmelt? Und was noch interessanter ist – warum wurde ein Mann getötet, zum erstenmal in all der Zeit?«
    »Nicht zum erstenmal«, warf Anissi ein. »Erinnern Sie sich, in den Gräben auf dem Boshedomka-Friedhof war auch ein männlicher Leichnam.«
    Das war doch eigentlich eine sachliche und nützliche Äußerung, doch der Chef nickte nur, »ja, ja«, ohne Anissis gutes Gedächtnis zu würdigen.
    »Und nun die Sch-Schlußfolgerungen. Der Mörder hat das Dienstmädchen umgebracht, um sich einer Zeugin zu entledigen. Also, ein Abweichen von der ›Idee‹, außerdem die Ermordung eines Mannes, aber nicht eines x-beliebigen Mannes, sondern des Untersuchungsführers, der dem Ripper auf der Spur war. Eines schonungslosen Beamten, der vor nichts zurückschreckte. Das ist eine gefährliche Wende in der Karriere Jacks. Jetzt ist er nicht nur der Triebtäter, der auf Grund k-krankhafter Phantasien in Raserei gerät. Jetzt ist er bereit, auch aus neuen, ihm bislang fremden Beweggründen zu töten – sei es aus Angst vor Entlarvung, sei es aus der Überzeugung heraus, nicht b-bestraft zu werden.«
    »Eine schöne Geschichte«, ließ sich Wedistschew vernehmen. »Nun hat der Unhold nicht mehr genug an den Prostituierten. Was er noch anrichten wird! Und Sie, meine Herren, haben, wie ich sehe, keinen Anhaltspunkt. Dann muß ich wohl mit Wladimir Andrejewitsch hier ausziehen. Zum Teufel mit dem Staatsdienst, wir könnten fein in Ruhe leben, aber Wladimir Andrejewitsch erträgt keine Ruhe. Ohne seinAmt wird er sofort zusammenklappen. So ein Elend, so ein Elend …«
    Der Alte schnüffelte und wischte sich mit einem riesigen rosa Taschentuch eine Träne weg.
    »Frol Grigorjewitsch, da Sie nun mal da sind, seien Sie still und stören Sie nicht«, sagte Anissi streng. Nie zuvor hatte er sich einen solchen Ton gegenüber Wedistschew erlaubt. Doch der Chef war mit seinen Schlußfolgerungen noch nicht zu Ende, im Gegenteil, er pirschte sich gerade an die wichtigste heran, und da mußte sich der Kammerdiener einmischen.
    »Aber zugleich ist das Abweichen von der ›Idee‹ ein ermutigendes Symptom«, bestätigte Fandorin prompt Anissis Vermutung. »Es zeigt uns, daß wir ganz n-nahe an den Verbrecher herangekommen sind. Jetzt ist völlig klar, daß dieser Mensch über den Gang der Ermittlung unterrichtet ist. Mehr noch, er hat zweifellos an Ishizyns ›Experiment‹ teilgenommen. Es war die erste aktive Handlung des Untersuchungsführers, und die Vergeltung folgte umgehend. Was hat das zu bedeuten? Ishizyn hat unbewußt den Mörder aufgebracht oder erschreckt oder dessen pathologische Phantasie entfacht.«
    Wie zur Bekräftigung dieser These ließ Fandorin dreimal hintereinander die Gebetskette klackern.
    »Wer ist er? Die drei Verdächtigen stehen seit gestern unter Beobachtung, aber Beobachtung ist kein Arrest. Man muß überprüfen, ob einer von ihnen vergangene Nacht unbemerkt dem Auge der Agenten entschlüpfen konnte. W-Weiter. Man muß sich jeden angucken, der gestern an dem ›Untersuchungsexperiment‹ teilgenommen hat. Wieviel Leute waren im Leichenschauhaus?«
    Anissi dachte nach. »Wieviel … Ich, Ishizyn, Sacharow undsein Assistent, Stenitsch, Neswizkaja, dieser, na, Burylin, dann die Polizisten und Gendarmen und die Friedhofsleute. Ein Dutzend, vielleicht auch etwas mehr, wenn man alle mitrechnet.«
    »Wir müssen alle mitrechnen, unbedingt«, ordnete der Chef an. »Schreiben Sie alle Namen auf eine Liste. Außerdem Ihre Eindrücke von jedem. Ein psychologisches Porträt. Das Verhalten eines jeden während des ›Experiments‹. Die kleinsten Details.«
    »Erast Petrowitsch, ich kenne nicht alle mit Namen.«
    »Dann bringen Sie sie in Erfahrung. Stellen Sie mir die vollständige Liste zusammen, unser Mörder wird darauf sein. Das ist Ihre Aufgabe für heute. Ich überprüfe unterdessen, ob einer unserer d-drei heute nacht einen heimlichen Ausfall unternehmen konnte …«
     
    Wie schön es sich arbeitet, wenn man einen klaren Auftrag hat, wenn die Aufgabe den Kräften angemessen und ihre Wichtigkeit unzweifelhaft ist.
    Von der Residenz des Fürsten fuhr Anissi mit schnellen Gouverneurspferden zur Gendarmerieverwaltung. Er sprach mit Hauptmann Saizew, dem Kommandeur der berittenen Patrouillekompanie, über zwei Gendarmen, die zur Ermittlung des Falls abkommandiert waren: ob

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