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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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strengstens verboten, den Kollegienrat und seinen Assistenten zu stören. Auf dem mit grünem Samt bespannten Tisch lagen Papiere, im Vorzimmer wachten hinter fest verschlossener Tür der persönliche Sekretär des Gouverneurs, ein Gendarmerieoffizier und ein Telephonist, der über eine Direktleitung mit der Kanzlei des Oberpolizeimeisters (oje, des ehemaligen), der Gendarmerieverwaltung und dem Bezirksstaatsanwalt (noch im Amt) verbunden war. Alle Instanzen waren angewiesen, dem Kollegienrat volle Unterstützung zu gewähren. Den furchteinflößenden Minister fernzuhalten, übernahm der Gouverneur.
    Auf Zehenspitzen kam Frol Wedistschew, der Kammerdiener des Fürsten, herein und brachte einen Samowar. Er setzte sich bescheiden auf eine Stuhlkante und machte mit der Hand ein Zeichen: Ich bin gar nicht da, meine Herrn Fahnder, lassen Sie sich nicht stören.
    »Ja«, sagte Anissi mit einem Seufzer. »Das ist unbegreiflich. Wie ist er an Ishizyn herangekommen?«
    »Das ist nun gerade das Einfachste. Die S-Sache war so …«
    Fandorin ging durchs Zimmer und holte mit gewohnter Bewegung die Gebetskette aus der Tasche.
    Anissi und Wedistschew warteten mit angehaltenem Atem.
    »Nachts, in der zweiten Stunde, nicht vor halb, klingelte es an Ishizyns Wohnungstür. Die K-Klingel war verbunden mit einem Glöckchen im Zimmer seines Dienstmädchens Sinaida Matjuschkina. Sie wohnte bei ihm, machte sauber, reinigte seine Kleidung und versah, nach den Aussagen der Bediensteten aus den Nachbarwohnungen, noch andere, mehr intime Pflichten. Aber offenbar ließ Ishizyn sie nicht in sein Bett, sie schliefen getrennt. Was übrigens seinen uns bekannten Anschauungen bezüglich des ›k-kultivierten‹ und des ›unkultivierten‹ Standes entspricht. Als Sinaida die Klingel hörte, warf sie sich ein T-Tuch übers Nachthemd, ging in die Diele und öffnete. Sie wurde gleich hier, in der Diele getötet, von einer schmalen spitzen Klinge ins Herz getroffen. Dann ging der Mörder auf leisen Sohlen durch Wohnzimmer und Kabinett ins Schlafzimmer des Hausherrn. Der schlief, die Kerze auf dem Nachtschränkchen war gelöscht. Der Verbrecher scheint ohne Licht ausgekommen zu sein, was e-erstaunlich ist, denn in dem Schlafzimmer, wie wir uns erinnern, war es stockdunkel. Mit der scharfen Klinge durchtrennte der Mörder dem auf dem Rücken liegenden Ishizyn die Luftröhre und die Arterie. Während der Sterbende röchelte und mit den Händen nach seiner K-Kehle griff (wie Sie gesehen haben, waren seine Hände und die Manschetten des Nachthemds voller Blut), stand der Mörder etwas abseits und wartete, wobei er mit den Fingern auf die Platte des Sekretärs trommelte.«
    Anissi war ja allerhand gewöhnt, doch das war zuviel.
    »Aber Chef, daß er mit den Fingern trommelte, da übertreiben Sie. Sie haben mich selbst gelehrt, daß man bei der Rekonstruktion eines Verbrechens nicht phantasieren darf.«
    »Gott bewahre, Tulpow, das sind keine Phantasien.« Fandorin zuckte die Achseln. »Sinaida war in der Tat ein nachlässiges Dienstmädchen. Auf dem Sekretär lag eine Staubschicht, und in dem Staub waren zahlreiche Abdrücke von Fingerkuppen. Ich habe sie geprüft. Sie stammen auf keinen Fall von Ishizyn … Die Einzelheiten der Ausweidung schenke ich mir. Das Resultat der P-Prozedur haben Sie gesehen.«
    Anissi zuckte zusammen und nickte.
    »Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit noch einmal auf den Umstand, daß der Verbrecher bei der Verwirklichung … bei der Präparierung merkwürdigerweise ohne Licht ausgekommen ist. Offensichtlich besitzt er die seltene Gabe, hervorragend im Dunkeln zu sehen. Der Mörder hatte es nicht eilig, die Wohnung zu verlassen: Er wusch sich die Hände unter dem Wasserspender und wischte mit einem Lappen die schschmutzigen Fußtapfen in den Zimmern und in der Diele weg, und zwar sehr sorgsam. Er ließ sich Zeit. Am ärgerlichsten ist, daß wir vielleicht nur eine Viertelstunde nach dem Weggang des Mörders in die Wohnung kamen …« Der Kollegienrat schüttelte erbittert den Kopf. »Soweit die Fakten. Nun die Fragen und Schlußfolgerungen. Ich beginne mit den Fragen. Warum öffnete das Dienstmädchen dem nächtlichen Besucher die Tür? Wir wissen es nicht, aber möglich sind mehrere Antworten. War es ein Bekannter? Wenn ja, dann wessen Bekannter, des Dienstmädchens oder des Hausherrn? Das können wir nicht beantworten. Vielleicht sagte derBetreffende, er bringe eine dringende Depesche. Als Untersuchungsführer erhielt Ishizyn sicherlich

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