Schönheit der toten Mädchen
Naschen müßte sie dem Hasiputz bringen, aber der Reviervorsteher Kulebjako ist ein Raubtier. Er sperrt sie bestimmt wieder ein wie im letzten Jahr, droht, ihr die gelbe Karte wegzunehmen, und dann kann sie wieder das ganze Revier umsonst bedienen, bis hin zum letzten rotznasigen Schutzmann. Wenn sie daran zurückdenkt, wird ihr ganz schlecht. Sie würde ja sogar diese Erniedrigung hinnehmen, um dem Herzallerliebsten zu helfen, aber Erastik ist ein anspruchsvollerKavalier und blitzsauber, er würde sich dann vor ihr ekeln. Wo doch die Leidenschaft zwischen ihnen noch gar nicht entbrannt ist, ihre Liebe blüht ja gerade erst auf. Dabei hat sie sich auf den ersten Blick in den Blauäugigen mit den weißen Zähnen verliebt, und zwar von ganzem Herzen, hat sich schlimmer verknallt als mit sechzehn in den Friseur Shorshik, die hübsche Fratze soll ihm verschrumpeln, dem falschen Fünfziger, falls er sich nicht schon tot gesoffen hat.
Ach, wenn Erastik doch bald käme, ihr süßer Schatz. Er wird Bremse, dieser Giftnatter, eine Abreibung verpassen, wird Ines streicheln und liebkosen. Sie hat für ihn schon ausgekundschaftet, was er wissen wollte, und sie hat Geld im Strumpfband versteckt – dreieinhalb Silberrubel. Er wird zufrieden sein. Nicht mit leeren Händen wird sie ihn willkommen heißen.
Erastik. So ein süßer Name, wie Apfelmus. In Wahrheit hat der Angebetete vielleicht einen einfacheren Namen, schließlich ist Ines ja auch nicht als Spanierin auf die Welt gekommen, sie wurde auf den Namen Jefrossinja getauft und zu Hause Frossja genannt.
Ines und Erast – wie das klingt, reineweg wie ein Harmonium. Könnte sie doch mit ihm Hand in Hand durch Gratschowka gehen, damit Sanka, Ljuda und vor allem Adelaida sehen, was für einen Kavalier Ines hat, damit sie vor Neid platzen.
Und danach hierher, in die Wohnung. Sie ist zwar klein, aber sauber und ordentlich: an den Wänden Bilder aus Modejournalen, ein halbsamtener Lampenschirm, ein Wandspiegel. Ein kuschelweiches Federbett und Kissen über Kissen, sieben Stück, die Überzüge alle von Ines bestickt.
Als sie sich so den süßesten Gedanken hingab, erfüllte sichihr Traum. Zuerst klopfte es taktvoll an die Tür – poch, poch, poch, dann trat Erastik – Bibermütze, weißer Gladstone-Schal, offener Tuchmantel mit Biberkragen – ein. Nicht zu glauben, daß er aus einer Polizeizelle kam.
Ines blieb das Herz stehen. Dann sprang sie vom Bett auf, wie sie war – im Kattunhemd, mit losen Haaren – und warf sich dem Liebsten an den Hals. Nur einmal konnte sie kurz seinen Mund erhaschen, dann nahm er sie bei den Schultern und setzte sie an den Tisch. Er blickte streng.
»Nun, erzähle«, sagte er.
Ines verstand – böse Menschen hatten sie angeschwärzt.
Sie leugnete nicht, denn sie wollte, daß es zwischen ihnen ganz ehrlich zuging.
»Schlag mich«, sagte sie, »schlag mich, Erastik. Ich habe mich schuldig gemacht. Aber nicht allzu sehr, du darfst nicht alles glauben. Bremse hat mich vergewaltigt« (hier schwindelte sie natürlich, aber nur ein bißchen), »ich hab mich gewehrt, aber er hat mich windelweich geschlagen. Guck her.«
Sie hob das Hemd, zeigte blaue, lila und gelbe Flecke. Er sollte sie bedauern.
Aber nichts da. Erastik runzelte die Brauen und sagte: »Mit Bremse rede ich später, er wird dich nicht mehr anrühren. Aber nun sag mir, hast du sie gefunden? Na, die Frau, die mit deinem Bekannten mitgegangen ist und kaum mit dem Leben davonkam?«
Ines freute sich, daß das Gespräch eine andere Wendung nahm.
»Hab ich, Erastik, ich hab sie gefunden. Glaschka heißt sie, Glaschka Beloboka . Sie kann sich gut an das Ungeheuer erinnern – fast hätte er ihr die Kehle durchgeschnitten. Seitdem wickelt sie sich ein Tuch um den Hals.«
»Bring mich zu ihr.«
»Mach ich, Erastik, ich bring dich hin. Aber vielleicht erst ein Gläschen Kognak?«
Sie nahm aus einem kleinen Schrank eine gut gehütete Flasche, warf sich ein geblümtes Schultertuch um und griff nach dem Kamm, um die Haare aufzulockern.
»Später trinken wir. Ich hab gesagt, bring mich hin. Zuerst die Arbeit.«
Ines seufzte und schmolz dahin – sie liebte strenge Männer, kam nicht dagegen an. Sie trat zu ihm, blickte zu ihm hoch, betrachtete sein wunderschönes Gesicht, die zornigen Äuglein, den gezwirbelten Schnurrbart.
»Die Füße tragen mich nicht mehr, Erastik«, hauchte sie hingebungsvoll.
Aber es war ihr nicht vergönnt, süße Freuden zu genießen. Plötzlich donnerte es
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