Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
blickteer auf den Rücken des Kollegienrats, wickelte den Stummel in ein Taschentuch und steckte ihn in die Jackentasche.
    »Das ist alles, Burylin«, sagte Fandorin, ohne sich umzudrehen. »Sie bleiben bis morgen in Gewahrsam.«
    Diese Mitteilung erbitterte den Millionär über die Maßen.
    »Jetzt ist’s aber genug! Ich habe schon eine Nacht lang Ihre Polizeiwanzen gefüttert! Gierig sind die bei Ihnen, ausgehungert. Wie die über einen Rechtgläubigen herfallen!«
    Fandorin hörte nicht hin und drückte auf den Klingelknopf. Der Gendarmerieoffizier kam herein und zog den Millionär zur Tür.
    »Und was ist mit Sacharow?« rief Burylin schon von draußen. »Er kommt doch, um sich das Geld zu holen!«
    »Nicht Ihr Problem«, sagte Fandorin und fragte den Offizier: »Ist auf meine Anfrage eine Antwort vom Ministerium gekommen?«
    »Jawohl.«
    »Her damit.«
    Der Gendarm brachte die Depesche und verschwand wieder im Korridor.
    Die Depesche zeitigte eine erstaunliche Wirkung. Nachdem Fandorin sie gelesen hatte, warf er sie auf den Tisch und benahm sich ganz verblüffend – er klatschte ein paarmal unheimlich schnell in die Hände, und so laut, daß Wedistschew vor Überraschung mit der Stirn gegen das Glas prallte und in der Tür gleichzeitig Gendarm, Adjutant und Sekretär erschienen.
    »Es ist nichts, meine Herren«, beruhigte sie Fandorin. »Eine japanische Übung zur Konzentration der Gedanken. Sie können gehen.«
    Nun geschahen wahre Wunder. Nachdem sich die Tür hinterden Männern geschlossen hatte, zog Fandorin sich aus. Nur noch mit Unterwäsche bekleidet, holte er unter dem Tisch einen Reisesack hervor, den Wedistschew bislang nicht bemerkt hatte, und entnahm ihm ein Bündel. Es enthielt: eine enge gestreifte Steghose, eine billige Hemdbrust aus Papier, eine himbeerrote Weste, eine gelbkarierte Jacke.
    Der Kollegienrat, ein solider Mann, verwandelte sich in einen der zwielichtigen Stenze, die abends um Straßendirnen herumstrichen. Er stellte sich vor den Spiegel – einen halben Meter vor Wedistschew, zog einen geraden Scheitel durch sein schwarzes Haar, schmierte es dick mit Brillantine ein, übermalte die weißen Schläfen. Den schmalen Schnurrbart zwirbelte er auf und formte zwei spitze Pfeile. (Mit böhmischem Wachs, vermutete Wedistschew, der genauso den berühmten Backenbart des Fürsten Dolgorukoi fixierte, damit er sich wie zwei Adlerflügel spreizte.)
    Dann setzte Fandorin etwas in den Mund ein und grinste – ein Goldzahn funkelte. Der Kollegienrat schnitt ein paar Grimassen und schien mit seinem Äußeren vollauf zufrieden zu sein.
    Zu guter Letzt entnahm er dem Reisesack ein Portemonnaie und öffnete es, und Wedistschew sah, daß es keineswegs ein gewöhnliches Portemonnaie war, denn es beherbergte einen kleinkalibrigen brünierten Lauf und eine Art Revolvertrommel. Fandorin schob fünf Patronen in die Trommel, ließ sie einrasten und prüfte mit dem Finger die Festigkeit des kleinen Schlosses, das wohl die Rolle des Abzugshahns spielte. Was nicht alles zur Tötung eines Menschen erfunden wird, dachte der Kammerdiener kopfschüttelnd. Und wo willst du hin in dieser geckenhaften Aufmachung, Erast Petrowitsch?
    Fandorin, als hätte er die Frage gehört, drehte sich zum Spiegel um, setzte sich die Bibermütze verwegen aufs Ohr, kniff ein Auge zu und sagte halblaut: »Frol Grigorjewitsch, stellen Sie bei der Abendmesse eine Kerze für mich auf. Ohne Gottes Hilfe komme ich heute nicht aus.«
     
    Ines litt sehr an Leib und Seele. Am Leib, weil Bremse, ihr bisheriger Zuhälter, ihr am Abend zuvor neben der Kneipe »Stadt Paris« aufgelauert und sie für ihren Verrat ausgiebig verprügelt hatte. Bloß gut, daß der Schuft ihr nicht das Gesicht verunziert hatte. Dafür sahen Bauch und Seiten aus, als wären sie in Waschblau getaucht. Ines hatte sich die ganze Nacht herumgewälzt, hatte gestöhnt und sich tränenreich bedauert. Die Blutergüsse, die würden vergehen, aber das Herz, das tat so weh, daß es nicht auszuhalten war.
    Ihr Liebster ist verschollen, ihr Märchenprinz, der bildschöne Erastik, hat sich seit zwei Tagen nicht sehen lassen. Und nun läßt Bremse seine Wut an ihr aus. Gestern mußte sie fast die ganze Tageseinnahme dem Widerling geben.
    Erastik ist spurlos verschwunden, bestimmt hat ihn dieser Hänfling mit den abstehenden Ohren zur Polizei geschleppt, und nun sitzt der sanfte Täuberich in einer Zelle des ersten Arbater Polizeireviers, des schlimmsten von ganz Moskau. Was zum

Weitere Kostenlose Bücher