Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
Vom Netzwerk:
gezielt. Die schweren Maschinengewehre können dagegen die Wirkung wahrer Kugelsensen entfalten, die in einem Meter Höhe durch die dichte Vegetation schwenken und alles niedermähen, was sich darin verbirgt, dank der Tatsache, dass sie mittels Lenkrädern eingestellt und fixiert werden können.
    Buchanan und die anderen begeben sich vorbei an den Gefallenen und Verwundeten zum Dorf Behobeho. Unmittelbar davor beziehen sie auf einem kleinen Höhenzug Stellung. Nun kommt es zu einem lang anhaltenden Feuergefecht mit den schwarzen Soldaten im Dorf. Die Sonne ist brennend heiß.
    Der Höhenzug ist mit funkelnden weißen Kieselsteinen bedeckt, und die Strahlen der Sonne werden davon reflektiert, was aus einer gewissen Entfernung anmutig erscheint, aber für eine Hitze sorgt, die für diejenigen, die dort in Deckung liegen, fast unerträglich ist. Alle haben schmerzhafte Brandblasen, auch diejenigen, die nach Jahren in der afrikanischen Sonne über eine braune, lederartige Gesichtshaut verfügen. Die Soldaten im Dorf dagegen befinden sich im Schatten. Außerdem können sie die Bäume nutzen, um hinaufzuklettern und mit der Treffsicherheit von Scharfschützen auf die Männer zu schießen, die auf der kochend heißen Kieselsteinhöhe liegen.
    Das Feuergefecht geht weiter. Die Verluste unter den Männern der 25   th Royal Fusiliers nehmen zu. Auch Buchanan wird getroffen, eine Kugel durchschlägt seinen linken Arm. Wenig später geht ein Ruf durch die Linie. Ihr Kompaniechef, Hauptmann Selous, ist tot. (Er war fünfzig Meter nach vorn gegangen, um herauszufinden, wo einige besonders lästige Scharfschützen sich verborgen hielten, und kaum hatte er das Fernglas gehoben, wurde er von einer Kugel in die Seite getroffen. Er wandte sich daraufhin um, wohl in der Absicht, sich zur eigenen Schützenlinie zurückzuziehen, wurde aber im selben Moment von einer zweiten Kugel getroffen, diesmal seitlich am Kopf, und fiel tot zu Boden.) Sie reagieren schockiert auf diese Nachricht, denn alle «hatten ihn besonders gern, als Vorgesetzten und als eine Art Vaterfigur, großartig und völlig furchtlos». Am stärksten trifft es Ramazani, Selous’ afrikanischen Diener, einen Mann, der ihn vor dem Krieg auf zahlreichen Großwildjagden als sein Waffenträger begleitet hat. Von unbändiger Trauer erfüllt und berauscht von Rachegefühlen stürzt er sich ins Feuergefecht, ohne sich um die Scharfschützen im Dorf zu scheren.
    Gegen vier Uhr schleichen sich die Feinde der Briten wieder einmal davon und verschwinden im Busch. Buchanan und die anderen können ins leere Dorf einmarschieren.
    Am Abend begraben sie Frederick Courtney Selous und die anderen Gefallenen im Schatten eines Baobabs.  1

127.
    Dienstag, 16. Januar 1917
    Michel Corday sinniert über das Bild der Nachwelt
     
    Irgendetwas geschieht, die Stimmung schlägt um. Zum Teil zeigt es sich in einer zunehmenden Kriegsmüdigkeit oder vielmehr einem gesteigerten Eskapismus. Die romantisierenden Berichte über Soldatentum und Heldenmut, die in den ersten Jahren die Magazine füllten, verschwinden allmählich und machen Detektivgeschichten, Kriminalliteratur und sonstigen Formen der Realitätsflucht Platz. Zum Teil zeigt es sich in einer allgemein wachsenden Ablehnung des Krieges. Aber immer noch bestimmen die Chauvinisten und Nationalisten, die Opportunisten und Schwätzer die öffentliche Debatte.
    Vorläufig ist ihr getreues Echo auch noch beim sogenannten gemeinen Volk zu hören. Es war lange tabu, für den Frieden, ja, überhaupt über den Frieden zu sprechen. «Frieden» war ein Unwort, dem ein vager Geruch von Defätismus, Deutschfreundlichkeit und Opportunismus anhing. Es rief sogar die Zensur auf den Plan. Der akzeptierte Begriff war «Sieg» – uneingeschränkt, vollständig, total. Wie in den meisten anderen Krieg führenden Staaten haben das Leid und die Verluste den Willen zum Kompromiss nicht gestärkt, sondern im Gegenteil die Gemüter nur noch verhärtet. Sonst wären ja alle Leiden und Verluste vergeblich gewesen, oder? Und wozu Kompromisse, wenn man doch unbesiegbar ist?
    Aber irgendetwas geschieht. Etwas in der Sprache hat sich verändert. Vorläufig nur auf den Straßen. Man hört jetzt Menschen über ihre Sehnsucht nach «Frieden» reden. Vor ein paar Tagen hat Corday in der Kälte an einer Straßenbahnhaltestelle gestanden und dem Gespräch zwischen einer Frau und einem Militärpfarrer gelauscht, der gerade von der Somme und aus Verdun zurückgekehrt war. Der

Weitere Kostenlose Bücher