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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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leicht bekleideter Frauen bekannt ist – die nicht selten herausgerissen und als Pinups in Schützengräben und Unterkünften aufgehängt werden –, sowie für seine Kontaktanzeigen – von Frauen, die einen (neuen) Mann suchen, oder Soldaten, die nach einer «Patin» Ausschau halten. Die meisten Leser wissen oder vermuten, dass es sich dabei um einen Kode für sexuelle Beziehungen handelt; amerikanische Militärs sind von höchster Stelle gewarnt und angehalten worden, dieses französische Skandalblatt nicht zu kaufen.  33
    Cushing hat schon begonnen, die blutigen und zähen Schlachten um Ypern zu verdrängen, die ihren Abschluss vor einer Woche fanden, als kanadische Truppen den Schutthaufen von Dorf eingenommen haben, der einer Schlacht ihren Namen gab, Passchendaele. Es ist offensichtlich, dass die britische Armeeführung die sinnlosen Angriffe aus reinen Prestigegründen hat fortführen lassen und das Ganze nicht abbrechen wollte, bevor man nicht behaupten konnte, man habe sein «Ziel» erreicht.
    Ziel, ja. Cushing ist an diesem Tag pessimistisch gestimmt. «Manchmal fragt man sich, worauf das Ganze hinausläuft», schreibt er in sein Tagebuch, «und warum wir eigentlich hier sind.» Seine finstere Gemütsverfassung rührt in vielerlei Hinsicht von den beunruhigenden Nachrichten aus Russland und Italien. Die Bolschewiken mit ihrem Slogan «Frieden jetzt!» haben im Osten die Macht übernommen, und die arg gebeutelte italienische Armee hat sich von einem Fluss zum nächsten zurückgezogen. Wird die neue Front am Piave wirklich standhalten? (Cushings Verband wurde kurzfristig nach Boulogne-sur-Mer verlegt, um dort das Krankenhaus zu übernehmen, da die britische Einheit, die es bisher betrieben hat, den Befehl erhielt, sich unverzüglich nach Italien zu begeben.) Cushing ist der Ansicht, dass die Alliierten seit der Schlacht an der Marne 1914 nicht so schlecht dagestanden haben wie jetzt.
    Wie immer führt diese Krisenstimmung zu gegenseitigen Vorwürfen. Cushing schielt auf die Belgier und Russen im Abteil. Die Belgier, schreibt er, tragen diese dämlichen Troddeln sicher nach dem Prinzip «Du musst vor einem störrischen Esel nur mit einem Strohbündel wedeln». Und dann die Russen, die nur essen, aber nichts tun: «Die Mannschaften weigern sich zu kämpfen, und was noch schlimmer ist, sie weigern sich zu arbeiten.» Es gibt keinen Zusammenhalt unter den Alliierten; die Rückschläge häuften sich zuletzt. Und in dieser Zeit «plant der Deutsche, vor dem Frühjahr ein Loch in die Westfront zu reißen». Nein, Cushing ist nicht besonders optimistisch und fühlt – wie zig Millionen andere –, dass ferne Kräfte über sein Leben bestimmen, Kräfte, die niemand mehr kontrolliert. «Eine weitere Drehung des Kaleidoskops kann jede Minute unser Schicksal verändern.»
    Der Pilot hat La Vie Parisienne beiseitegelegt und einen Roman mit dem Titel Ma P’tite Femme aufgeschlagen. Der Zug schaukelt und rüttelt.

171.
    Donnerstag, 15. November 1917
    Paolo Monelli ist bei der Verteidigung des Monte Tondarecar dabei
     
    Schneematsch und Schlamm. Auf dem Kamm des Bergrückens haben die Pioniere Stacheldraht gespannt. Hier soll der Feind aufgehalten werden. Sie hören diese Worte nicht zum ersten Mal, im Gegenteil. Im letzten Monat ist das wieder und wieder bekräftigt worden, aber der italienische Rückzug setzt sich unvermindert fort, in Sprüngen zwischen Berggipfeln und Flüssen: vom Isonzo zum Tagliamento, vom Tagliamento bis zum Piave. Im Norden, auf dem Asiago-Plateau, hält die Front noch einigermaßen, aber auch dort geht es langsam zurück. Wenn eine der Fronten weicht, gerät die nächste automatisch in eine missliche, um nicht zu sagen unmögliche Lage.
    Die Stellung, die sie auf dem Monte Tondarecar zu verteidigen haben, ist alles andere als ideal. Die Schussfelder sind miserabel, und der Frontabschnitt, den Monellis Kompanie verteidigen soll, ist viel zu breit. Monelli selbst bleibt beherrscht und gefasst, obwohl ihm die Rückzüge und die drohende italienische Niederlage – nicht nur in dieser Schlacht, sondern im Krieg überhaupt – schwer zugesetzt haben. Er ist fest entschlossen, hier zu kämpfen, wie schlecht die Ausgangslage und die Chancen auch sein mögen. Sein letzter Tagebucheintrag ist zwei Tage alt. Da schrieb er davon, wie traurig es war, dass all diese Berge jetzt vom Feind eingenommen sind. «Aber», so schloss er, «wenn sie unserem Schmerz und unserem Hass begegnen, wird es kein

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