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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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sind für ihre Aufgabe nicht richtig trainiert, und zwei von ihnen stürzen den Abhang hinunter. Die Stunden vergehen, und die Kompanie dehnt sich zu einem langen, ungeordneten Strang von Männern, Wagen und Zugtieren, der sich mit größter Langsamkeit nach oben schleppt.
    Am Nachmittag beginnt es zu schneien. Sie sind noch nicht über den Pass gekommen. Lobanov-Rostovskij patrouilliert zu Pferde an der immer weiter auseinandergezogenen Marschkolonne. Gegen sechs Uhr erreichen sie den Gipfel. Die Dämmerung bricht herein. Auf einem verschneiten Feld neben dem Weg sieht er einen Soldaten, der versucht, einen einzelnen Maulesel zum Weitergehen zu bewegen. Trotz seiner Anstrengungen bewegt sich das starrsinnige Tier nicht vom Fleck. Lobanov-Rostovskij sagt dem Mann, er werde bei dem Maulesel bleiben, er solle unterdessen losgehen und Hilfe holen.
    Lobanov-Rostovskij wartet – und wartet. Doch niemand kommt. Was ist passiert? Haben sie beschlossen, ihn sitzenzulassen? Oder können sie ihn in der Dunkelheit und dem Schnee nicht finden? Was soll er tun? Es war ein Jahr der Enttäuschungen und Rückschläge, aber dies ist für ihn der absolute Tiefpunkt:
     
Ich habe mich während des gesamten Krieges selten so miserabel gefühlt. Es wehte ein scharfer Wind. Im wogenden Nebel war es unmöglich, die Gipfel in der Umgebung zu erkennen. Bald wurde es Nacht, und dort saß ich allein auf einem Berggipfel und hielt einen Maulesel fest.
     
    Schließlich hört er Stimmen im Dunkel, und er ruft. Es sind ein paar Nachzügler mit ihren Pferden und Wagen. Sie helfen ihm, den Maulesel in Bewegung zu setzen. Ungefähr um zwei Uhr in der Nacht überquert der letzte Wagen den Pass.

174.
    Mittwoch, 5. Dezember 1917
    Paolo Monelli gerät auf dem Castelgomberto in Gefangenschaft
     
    Schon gestern hatte er eine Vorahnung, dass das Ende nahe ist. Das Ende, Singular, mit dem bestimmen Artikel? Dieser Kampf kann natürlich mehr Ausgänge haben als einen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen glücklichen handeln wird, nimmt von Stunde zu Stunde ab. Nach schwerem Trommelfeuer, nach Kampfgasattacken, nach drohender Umzingelung, nach gescheiterten Gegenangriffen, nach chaotischen Nahkämpfen haben Monelli und seine Kompanie den Rückzug angetreten und weiter unterhalb, in einem Wald am Castelgomberto, eine neue Stellung bezogen. Aber sobald die Sonne aufgeht, werden die österreichischen Sturmtruppen auch diese Stellung angreifen. «Dies ist die Stunde. Die Stunde, die ich, wenn auch widerwillig, seit meinem ersten Tag im Krieg vorausgesehen habe. Es ist, als ob alles, was die Vergangenheit an Kampf und Leiden und Mühen mit sich gebracht hat, mit einer enormen Kraft auf einen einzigen entscheidenden, tragischen Augenblick hinzielt.»
    Es ist kalt, es ist dunkel, es schneit. Monelli und seine Soldaten frieren, sie sind hungrig und durstig. Der Rückzug gestern war so überstürzt, dass weder Zeit blieb, das schon aufgetragene Essen zu verzehren, noch es mitzunehmen. Die Angst und die Ungewissheit sind groß. Monelli schickt eine Patrouille los, um Kontakt mit den eigenen Truppen aufzunehmen, die sich links von ihnen befinden sollen/müssten/können, doch die Patrouille kommt nicht zurück. An Schlaf ist kaum zu denken. Sie haben einen Granatwerfer bei sich, mit dem sie ziellos in die Dunkelheit feuern. Sie transportieren zehn Kisten Granaten und wollen sie am liebsten loswerden, bevor der nächste Angriff kommt. Außerdem: Warum sollte der Feind dort drüben den ruhigen Schlaf genießen, der ihnen selbst verwehrt ist?
    Morgengrauen. Sobald es hell genug ist, um gezielt zu schießen, beginnen österreichische Maschinengewehre, ihre Stellung zu bestreichen. Dann Granaten. Rauch erfüllt ihren Schützenstand. Er brennt in Augen und Ohren. Die Lage wird allmählich hoffnungslos. Die Lage ist hoffnungslos. Die Kompanie ist zusammengeschmolzen, hungrig und hat fast keine Munition mehr.
    Sie geben auf. Österreichische Soldaten umringen sie.
    Monelli nimmt seinen Revolver, wirft ihn fort, sieht ihn über einen Steilhang in die Tiefe segeln. In diesem Augenblick erfüllt ihn Bitterkeit: dreißig Monate Krieg – und dann das. Er sieht mehrere seiner Soldaten weinen. Er hört einen Mann aufschluchzen: «Was wird Mama sagen!»

175.
    Freitag, 7. Dezember 1917
    Willy Coppens amüsiert sich in De Panne
     
    Es ist nach Mittag, und sie sitzen schon abfahrbereit in den Autos, als der Anruf kommt. Ein deutscher Flieger greift gerade einige der

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