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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Durchkommen geben.»
    Dann beginnt der Angriff, auf den sie gewartet haben.
    Feindliche Sturmtruppen rücken an. Rufe und Schreie. Monelli erkennt ein graugekleidetes Gewimmel in rascher Bewegung. Man greift in dicht formierten Gruppen an, zu diesem Zeitpunkt des Krieges eine sehr ungewöhnliche Strategie. Die Angreifer sind ihre Pendants in der feindlichen Armee: österreichische Alpenjäger. Rufe, Schreie, Schüsse. Die Waffen eröffnen das Feuer. Kugeln pfeifen vorbei. Monelli sieht einige seiner Soldaten: De Fanti, Romanin, Tromboni, De Riva. Sie sind bärtig und abgerissen und anscheinend ebenso fest entschlossen wie er, standzuhalten. Ihre Gesichter sind merkwürdig ruhig. Rufe und Schreie und Schüsse. Die graue Welle wird langsamer, hält inne, schwappt zurück. Einer der anderen Offiziere springt im Rausch des Triumphs auf die Kante des Schützengrabens und schleudert dem sich zurückziehenden Feind Schimpfworte hinterher. Die Fliehenden verschwinden in ihren Schützengräben. Sie hinterlassen ein unregelmäßiges Muster von bewegungslosen Körpern. Rufe. In dem dünnen Stacheldrahtzaun hängen Körper. So nah sind sie herangekommen.
    Das Gleiche wiederholt sich zweimal. Danach tritt eine gewisse Ruhe ein. Ein Artilleriemajor schaut vorsichtig über die Kante und stellt mit Verwunderung fest, dass die Front tatsächlich zu halten scheint. Er äußert ein paar lobende Worte und verschwindet.
    Als der Kampf vorbei ist, holt Monelli sein Tagebuch hervor. Unter das Datum dieses Tages schreibt er drei Wörter: Non è passato . «Er ist nicht durchgekommen.» Das ist alles.  34

172.
    Montag, 3. Dezember 1917
    Elfriede Kuhr sieht, wie der Sarg mit der Leiche Leutnant Waldeckers Schneidemühl verlässt
     
    Es ist ein bitterkalter Tag, und sie steht einfach nur da und wartet zwei unendlich lange Stunden. In der Hand hält sie eine Rose, die sie von ihrem Ersparten gekauft hat. Gegen halb drei hört sie zuerst das Rasseln von Trommeln. Immer mehr Geräusche kommen hinzu: das Trampeln von Stiefeln, die in perfektem Takt marschieren, dann Blasinstrumente, dann Gesang. Sie sieht die Prozession: an der Spitze die Kapelle in Feldgrau, dann der Militärpfarrer, dann der Bestattungswagen, dann die Trauernden, dann eine Ehrenwache mit Soldaten samt Stahlhelm und Gewehr.
    Die Trauernden? Sie müsste selbst dort mitgehen, sie ist doch eine von ihnen. Leutnant Werner Waldecker ist tot. Er hat vor zwei Tagen sein Leben verloren, als sein Flugzeug abstürzte. Elfriede erfuhr es, als sie gestern zur Schule kam. Da war in ihrem Kopf nichts als «ein schwarzes Loch», und sie bewegte sich gleichsam mechanisch. Dann hatte sich das Loch mit zwei Gedanken gefüllt. Der erste: Wie sieht er jetzt aus? Ist sein Kopf zerschmettert, in Fetzen, in Stücke gerissen? Der zweite: Wie verberge ich meine Gefühle?
    Der Bestattungswagen rollt heran. Sie sieht den Sarg. Er ist braun und hat einen flachen Deckel, auf dem ein Kranz liegt. Als der Wagen ihre Höhe erreicht, tritt sie ein paar Schritte vor und wirft ihre Rose auf den Sarg. Die Rose gleitet herunter und fällt auf die Straße.
    Der Wagen rollt durch die geöffneten Tore des Güterbereichs im Bahnhof. Der Tote soll als Reisegepäck befördert werden. Auf dem Gleis wartet ein rotbrauner Güterwagen. Der Sarg wird herabgehoben. Dort, zwischen Stapeln von Frachtkisten, rezitiert der Pfarrer etwas aus einem kleinen, schwarzen Buch. Die Helme werden abgenommen. Gemeinsam sprechen sie das Vaterunser. Die Ehrenwache erhebt ihre Gewehre und feuert in rascher Folge drei Salven ab. Dann folgt Schweigen. Elfriede riecht das Schießpulver. Der Sarg wird in den wartenden Waggon gehievt, mit dem Kranz obenauf, dann schieben zwei Bahnarbeiter in verrußter Kleidung die Türen mit einem Krachen zu.
    Elfriede geht zurück auf die Straße. Dort sieht sie ihre Rose liegen. Sie hebt sie auf. Die Blume ist nicht beschädigt. Sie hält sie sich an die Nase und läuft geduckt davon. Hinter ihr ist die Militärkapelle zu hören.

173.
    Dienstag, 4. Dezember 1917
    Andrej Lobanov-Rostovskij sitzt auf einem Berggipfel am Pisoderipass
     
    Der Tag beginnt ordentlich. Sie verlassen das Lager am Fuße des Berges in der Morgendämmerung und machen sich an den langen Aufstieg. Der Weg ist zwar schmal, aber gut befestigt, er führt in scharfen Serpentinen zum Pass hinauf. Das Wetter ist schön, die Aussicht großartig. Wohin sie auch blicken, überall sind die hohen, eindrucksvollen Gipfel der albanischen Berge zu

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