Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
irgendetwas – der Nebel, das Gas, die Überraschung, die idiotischen italienischen Dispositionen, die erfahrenen deutschen Truppen, die in einer neuen, flexiblen Taktik geschult wurden 31 –, irgendetwas hat dazu geführt, dass der Durchbruch viel durchschlagender war, als man zu hoffen gewagt hatte. Und dann kam eins zum anderen. Aus Angst davor, überflügelt zu werden, trat die gesamte italienische Armee am Isonzo einen panikartigen Rückzug zum Fluss Tagliamento an. Ein unerhörter Triumph für die Doppelmonarchie. 32
Das Bataillon, das Kelemen herabkommen sieht, hat an dem Angriff selbst nicht teilgenommen, ist aber trotzdem schwer gezeichnet. Er notiert in seinem Journal:
Die Soldaten ziehen weiter bergab oder bleiben stehen, aufgehalten von den Kameraden vor ihnen, oder sie legen sich neben den Weg, was immer sie tun, es scheint unmöglich, sich vorzustellen, dass dieses die Kampftruppen sind, mit denen die Staatsmänner und Generäle die Monarchie verteidigen. Dass dieser zerlumpte, mitgenommene Haufen mit den zotteligen Bärten, den zerknitterten, aufgeweichten und schmutzigen Uniformen, den verschlissenen Schuhen und den erschöpften Gesichtern das sein soll, was man «unsere tapfere Infanterie» nennt.
Jetzt machen sie halt. Das ganze Bataillon sackt am Hang zusammen. Einige Soldaten holen Konservendosen aus ihren Rucksäcken, und mittels der langen Klingen ihrer Klappmesser heben sie den Inhalt heraus und schaufeln ihn sich roh in den Mund. Ihre Hände sind schwarz vor Dreck, steif und voller Schwielen. Die Furchen in ihren Gesichtern öffnen und schließen sich beim Kauen. Sie sitzen auf nassen Steinen und starren ausdruckslos in ihre Blechdosen.
Ihre Uniformen sind aus schlechterem Stoff gemacht, als empfohlen wird. Die Sohlen ihrer Stiefel sind aus Pappe, was dem Lieferanten der Armee, der selbst vom Militärdienst freigestellt ist, mehr Gewinn bringt.
Zur gleichen Zeit werden daheim, in Häusern, die vom Krieg unberührt geblieben sind, die Tische zum Mittagessen gedeckt. Elektrische Lampen leuchten. Weiße Servietten, edles Glas, silberne Gabeln und Messer glitzern im Licht. Saubere Männer in zivilen Anzügen führen Damen zu Tisch. Vielleicht ist sogar ein kleines Orchester da, das in einer Ecke spielt. Getränke funkeln. Mit leichtem Lächeln unterhält man sich über Bagatellen; in gemischter Gesellschaft soll die Konversation locker und angenehm sein.
Denken sie an diesem Abend an die heruntergekommenen Soldaten, die eine übermenschliche Last tragen und es dadurch ermöglichen, dass zu Hause so vieles bleiben kann, wie es war? Gleich bleiben? Für so manchen ist es sogar besser geworden.
169.
Sonntag, 11. November 1917
Florence Farmborough hört Gerüchte von einem Staatsstreich
Er ist schneidig, beinahe schön, dieser zwanzigjährige Leutnant, der gestern eingeliefert wurde. Schon als man ihn hertrug, bemerkte sie, dass er «die ebenmäßigen, klassischen Züge [besaß], die typisch sind für Südrussen, und langes, lockiges Haar und hellgraue Augen, eingerahmt von langen, dunklen Wimpern». Es ist ihr auch nicht entgangen, dass er einen gutgebauten Körper hat. Sein Name ist Sergej, sein Bursche begleitet ihn. Dieser hat erzählt, der junge Leutnant sei das älteste von sieben Kindern, habe sich mit siebzehn Jahren freiwillig gemeldet und sei zur Offiziersausbildung ausgewählt worden.
Der junge Leutnant ist ein schwieriger Patient. Er hat Schmerzen, ist unruhig, ängstlich und herrisch, will sich entgegen der ausdrücklichen Anweisung der Ärzte aus seinem Bett helfen lassen, gibt lautstark Kommandos, schreit den armen Burschen an, der seinen Leutnant offenbar liebt und unbeholfen versucht, ihm auf jede erdenkliche Weise zu helfen. Der Leutnant hat eine schlechte Prognose. Er hat eine schwere Bauchverletzung; die Blase ist eingerissen, und die Därme sind an mehreren Stellen durchlöchert. Aber die Chirurgen haben getan, was sie konnten, jetzt bleibt nur noch, das Beste zu hoffen. Der zwanzigjährige Leutnant schnauzt seinen Burschen an: «Los, du Schurke, in den Schützengraben! Nach vorne, an die Front!» Florence sieht den kleinen Mann zur nächsten Abteilung schleichen, um dort zu warten, bis sich der Zorn seines Herrn gelegt hat. Aus irgendeinem Grund spricht der Leutnant sie mit Zina an. Vielleicht fängt er schon an zu halluzinieren?
Sie sind an der rumänischen Front weiterhin recht isoliert, doch an diesem Tag erreichen sie sensationelle Nachrichten aus
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