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Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Titel: Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
Autoren: Karl Olsberg
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Kontrollgruppe arbeitete unter unveränderten Bedingungen.
    Erwartungsgemäß zeigte sich, dass die Testgruppe mit der besseren Beleuchtung produktiver war als zuvor. Doch auch die Produktivität der Kontrollgruppe stieg deutlich, obwohl hier das Licht nicht verändert worden war. Es stellte sich bald heraus, dass die Beleuchtungsstärke tatsächlich nur einen relativ geringen Einfluss auf die Arbeitsproduktivität gehabt hatte. Einen großen Einfluss jedoch hatte die Tatsache, dass die Arbeiter sich einer speziellen Gruppe zugehörig fühlten, der besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Dieser Effekt galt gleichermaßen für die Test- wie für die Kontrollgruppe.
    Dieses Experiment hat das Management von Fertigungsanlagen ebenso stark beeinflusst wie Henry Fords Massenfertigung. Man erkannte, dass Menschen produktiver sind, wenn sie in kleinen Gruppen arbeiten, abwechslungsreiche Tätigkeiten durchführen und in ihrem Arbeitsbereich eigenständige Entscheidungen treffen können. Außerdem erwies es sich als vorteilhaft, wenn die Arbeiter unmittelbar mitgeteilt bekamen, wie produktiv sie waren, wenn sie also ähnlich wie ein Sportler ihr eigenes Leistungsniveau messen konnten. Heute weiß man, dass es nicht einmal unbedingt erforderlich ist, Prämien als Leistungsanreiz zu zahlen. Menschen wollen von Natur aus gut arbeiten und ihre Leistung verbessern und tun das auch - wenn sie sich an ihrem Arbeitsplatz wohl fühlen und selbst einen Einfluss auf ihre Arbeitsabläufe haben.
    Aus diesen Erkenntnissen, die in den Jahrzehnten seit jenem Licht-Experiment gereift sind, haben sich zwei moderne Ansätze der Fertigungsorganisation entwickelt: »Kaizen« und »Selbstorganisation«. Das aus dem Japanischen entlehnte Wort Kaizen kann sinngemäß mit »kontinuierliche Verbesserung« übersetzt werden und bedeutet, dass jeder Arbeiter seine eigenen Abläufe und seinen Arbeitsplatz ständig verbessert. Im Unterschied zu Henry Fords Managementansatz bestimmt nicht der »Chef«, wie die Arbeit genau abzulaufen hat, sondern der Mitarbeiter selbst hat einen hohen Einfluss darauf.
    Das Wesen von Kaizen sind sehr einfache, kleine Verbesserungsschritte. Beispielsweise kann es vorkommen, dass ein Bauteil falsch herum eingebaut wird. Eine Kaizen-Idee wäre es, an dem Bauteil entweder eine zusätzliche Kennzeichnung anzubringen oder, noch besser, es asymmetrisch zu konstruieren, so dass es nur noch auf die richtige Weise eingebaut werden kann.
    Ähnlich ist es mit der Selbstorganisation in der Fertigung: Eine Arbeitsgruppe bekommt einen Auftrag, zum Beispiel bestimmte Teile in hoher Qualität und mit minimalem Ausschuss zu stanzen. Wie genau sie diese Aufgabe erledigen, bleibt den Mitarbeitern überlassen. Sie müssen sich selbst mit den anderen Teams koordinieren - mit werksinternen »Lieferanten« für Bleche und »Kunden«, die die Stanzlinge weiterverarbeiten.
    Diese Ansätze führen nachweislich zu einer deutlichen Qualitätsverbesserung bei gleichzeitiger Reduktion der
    Stückkosten. Außerdem verbessern sie die Arbeitsqualität und die Mitarbeiterzufriedenheit. Der japanische Autofabrikant Toyota führte sie als Erster konsequent ein und stieg dadurch zu einem der größten und erfolgreichsten Autohersteller der Welt auf. Inzwischen sind Kaizen und Selbstorganisation in der Automobilfertigung und bei Zulieferern weit verbreitet und greifen auch immer mehr auf andere Branchen über.
    Genau genommen sind Selbstorganisation und Kaizen eine Übertragung des Evolutionsprinzips auf die Fertigungssteuerung. Erfolgreiche Methoden, zum Beispiel eine farbliche Kennzeichnung oder eine asymmetrische Konstruktion zur Fehlervermeidung, können sich von einer Abteilung zur nächsten ausbreiten. Es wird viel ausprobiert (mutiert), und erfolgreiche Ansätze werden nachgeahmt (selektiert und reproduziert). Was genau erfolgreich ist, bestimmt die Produktivität der Abteilung, gemessen in produzierten Stück pro Zeit und dem Qualitätsmaß - damit gibt es auch klare Selektionskriterien.
    Auch in Henry Fords Massenfertigung gab es so etwas wie Evolution: Wenn Abläufe am Fließband geändert wurden, war dies Mutation, wenn dadurch die Fehlerquote sank, wurde die Änderung »selektiert« und vielleicht auf andere Bereiche übertragen. Doch im Unterschied zu modernen Fertigungstechniken war die Mutationsrate viel geringer, da die Arbeiter selbst keine Verbesserungen vornehmen durften. Außerdem funktionierte die Selektion weniger gut, da die
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