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Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Titel: Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
Autoren: Karl Olsberg
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vollen Monat gedauert hat - viel länger als die kümmerlichen paar Stunden, auf die es die Hominiden bisher bringen. Diese stolpern nämlich erst seit dem frühen Silvesternachmittag auf wackligen zwei Beinen herum.
    Im Verlauf des Abends lernen sie sprechen und erfinden um eine Minute vor zwölf die Schrift. Eine Sekunde vor Mitternacht schreibt Darwin »Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl«. Eine halbe Sekunde später baut Konrad Zuse den ersten Computer. Nur zwei Zehntelsekunden danach beschäftigt sich Alan Turing bereits mit Fragen der künstlichen Intelligenz. Eine Zehntelsekunde vor Mitternacht wird das World Wide Web geboren.
    Das sieht, aus dieser zeitlichen Entfernung betrachtet, in der Tat nach einer rasanten Beschleunigung aus. Aber was genau hat sich eigentlich beschleunigt? Schauen wir genauer hin, dann entdecken wir in der Entwicklung des Lebens mehrere evolutionäre »Durchbrüche«.
    Erinnern wir uns: Die Evolution begann lange bevor es Leben im eigentlichen Sinne gab, indem sich Moleküle in einer chemisch aktiven Ursuppe selbst replizieren konnten. Die erste einschneidende Veränderung war die Entwicklung einer Zellmembran. Sie trennte das sich replizierende Molekül von seiner Umwelt und schützte es vor Angriffen. Sie schuf Stabilität.
    In Bezug auf die Veränderungsgeschwindigkeit war die »Erfindung« der Zelle wahrscheinlich eher ein Rückschritt. In einem sehr freien Zitat eines Artikels von Carl Woese schreibt der Physiker Freeman Dyson von einem »goldenen Zeitalter prä-darwinscher Evolution«, in dem es einen freien Austausch von Genen gegeben habe. Doch dann, eines Tages, sei eine Zelle entstanden, die »nicht mehr teilen wollte«. Dies habe die Entwicklung des Lebens drastisch verlangsamt.
    Tatsächlich kann man sich die Entstehung von Zellen wie den Bau von Bunkern, Festungswällen und Schützengräben in einem Krieg vorstellen - sie ziehen die Auseinandersetzung in die Länge. Aber die Entwicklung der Zelle war auch ein notwendiger Schritt, um jene Form von Stabilität zu erreichen, die es ermöglichte, Eigenschaften an seine Nachkommen weiterzugeben und eine allmähliche, graduelle Entwicklung der Merkmale von Lebewesen zuzulassen. Bis dahin nämlich waren vermutlich viele nützliche Eigenschaften einfach im allgemeinen »Schlachtgetümmel« wieder untergegangen. Erst durch die Bildung der Zelle wurde so etwas wie unterschiedliche Arten von Lebewesen, die sich über Jahrmillionen nur graduell verändern, überhaupt möglich.
    Auf die Entstehung der Zelle folgte eine sehr lange Phase - mehr als die Hälfte der gesamten Entwicklungszeit des Lebens -, in der augenscheinlich nicht viel passierte. Bakterien und andere Einzeller breiteten sich auf dem Planeten aus. Sehr interessant hätte die Erde während dieser Zeit für einen außerirdischen Besucher nicht ausgesehen - keine Spur von wimmelndem Leben, nur ein paar Schaumbläschen hier, ein bisschen graugrüner Schleim dort.
    Warum ging es nicht voran? Eine mögliche Erklärung findet sich wieder in der Mathematik. Einfache Organismen haben ein relativ simples Genom. Eine winzige Mutation in diesem Genom hat deshalb relativ große Auswirkungen. Nehmen wir an, die Gene eines einfachen Bakteriums wären eine Million Basenpaare lang. Dann bewirkt die Veränderung nur eines Buchstabens in diesem Code ein Millionstel oder 0,0001 Prozent des gesamten Codes. Das klingt nicht nach besonders viel. Doch da es sich um einen Einzeller handelt, betrifft die Veränderung den gesamten Organismus. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Veränderung einen fatalen Schaden bewirkt, ist sehr hoch. Selbst wenn nicht, sind die Abweichungen vom Original recht drastisch.
    Die Stabilität der Umwelt war das zweite »Problem« der frühen Evolution. In einer vergleichsweise stabilen Umwelt ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine drastische Mutation einen Selektionsvorteil bringt, sehr gering. Vor drei Milliarden Jahren gab es auf der Erde nur wenig Veränderung. Da alles so blieb, wie es war, bestand keine Notwendigkeit, sich an etwas Neues anzupassen. Mutationen waren nicht erfolgreicher als die unveränderten Originale, weil diese bereits »optimal« an die unveränderliche Umwelt angepasst waren.
    Die frühe Phase des Lebens war auch deshalb relativ stabil, weil es noch nicht viel gab, das sich verändern konnte. Stellen wir uns ein Ökosystem mit 10 verschiedenen Arten vor, die miteinander interagieren. Wenn in diesem System eine Art eine neue,
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