Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
dem Urknall auf ihre zeitliche Abfolge untersucht. Dabei entdeckte er eine exponentielle Verkürzung des Zeitraums zwischen zwei Ereignissen, interpretiert diese jedoch nicht als exponentielle, sondern als logistische Entwicklung (S-Kurve). Modis’ Argument gegen die exponentielle Entwicklung ist in erster Linie ein statistisches: Seiner Meinung nach »passt« eine einfache S-Kurve besser auf das Datenmuster als eine exponentielle Kurve.
Ebenso wie Huebner bleibt auch Modis jedoch eine fundierte Erklärung schuldig, was eigentlich das Wachstum der »Komplexität des Universums« und damit auch der technischen Entwicklung auf der Erde bremsen soll. Er verweist lediglich darauf, dass in der Natur »niemals exponentielle Trends vorkommen«.
Es erscheint plausibel anzunehmen, dass die technische Evolution - und damit das Wachstum der Komplexität des Universums - irgendwann zu einem Ende kommt. Wenn das heutige Bild eines sich immer schneller ausdehnenden Weltalls korrekt ist, wird es eines Tages einen »Big Rip« geben - ein Zerreißen des Kosmos in lauter unabhängige Einzelteile, die sich mit Lichtgeschwindigkeit voneinander entfernen und somit keine Informationen mehr untereinander austauschen können. Spätestens dann wird es auch keine technische Evolution mehr geben. Doch wenn auch unklar ist, wann dieser Zustand eintreten könnte, so liegt er doch auf jeden Fall noch etliche Milliarden Jahre in der Zukunft.
Man kann Modis’ Argumentation vorwerfen, dass sie sehr anthropozentrisch, das heißt aus der Sicht der Menschheit geführt ist. Wir haben nicht die geringste Ahnung, welche Komplexität es in anderen Galaxien gibt und wie diese sich dort entwickelt hat. Daher ist es vermessen, aus den wenigen uns zur Verfügung stehenden und zudem äußerst ungenauen Daten auf die Entwicklung der Komplexität im gesamten Universum zu schließen.
Wenn Modis recht hat und sich die gesamte Komplexität des Weltalls entlang einer S-Kurve entwickelt - was prinzipiell anzunehmen ist -, dann haben wir nicht die geringste Vorstellung davon, an welchem Punkt wir uns befinden. Wenn wir seiner Argumentation folgen, wissen wir lediglich, dass wir in der Vergangenheit noch im unteren, exponentiell wachsenden Teil der Kurve gesteckt haben müssen
- zumindest, was den kleinen, uns bekannten Teil des Kosmos betrifft. Wie lange ein solches sich selbst beschleunigendes Wachstum der Komplexität noch anhalten wird und ab wann sich das Wachstum verlangsamt, lässt sich mit den uns zur Verfügung stehenden Daten nicht prognostizieren. Wenn wir die nächsten paar Jahrhunderte betrachten, dürfte das bei einer Gesamtlänge der kosmischen Komplexitäts-S-Kurve von mindestens 25 Milliarden Jahren auch keine große Rolle spielen. Modis’ Argumentation bietet also keine haltbare Grundlage für die Annahme, die technische Evolution könnte in naher Zukunft an ihre Grenzen stoßen.
Fassen wir die bisherigen Erkenntnisse zusammen:
- Evolution ist kein biologischer Prozess, sondern ein mathematischer Algorithmus, der immer gilt, wenn seine Voraussetzungen - Reproduktion, Mutation und Selektion - erfüllt sind.
- Durch die Entwicklung komplexer Gehirne trat schon vor Jahrmillionen neben den Genen ein zweiter Replika-tor auf den Plan - die Meme.
- Meme und Gene entwickeln sich nicht primär zum Wohl der Spezies, die sie kopiert, sondern zu ihrem eigenen Wohl. Daher gibt es »bösartige« und »schädliche« Meme.
- Meme und Gene können symbiotisch zusammenarbeiten, sie können aber auch im Wettkampf zueinander stehen.
- Der Prozess der Evolution neigt dazu, sich selbst zu beschleunigen.
- Jede Beschleunigung muss irgendwann ein Ende haben. Die These, dass die Beschleunigung der technischen Entwicklung in naher Zukunft endet, lässt sich jedoch nicht bestätigen, da technische und menschliche Grenzen wahrscheinlich noch für lange Zeit durch neue technologische S-Kurven überwunden werden können. Es ist aus heutiger Sicht nicht zu sagen, ob wir noch Jahrhunderte, Jahrtausende oder Jahrmillionen ungebremster technischer Evolution vor uns haben.
Die obigen Erkenntnisse ergeben sich als zwangsläufige logische Folgen eines simplen mathematischen Zusammenhangs. Sie haben sehr weitreichende Konsequenzen für die Entwicklung des Lebens auf der Erde - in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese Konsequenzen sind Gegenstand des zweiten Teils dieses Buchs.
Das Schokoladenproblem
2.1. Sind Städte
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