Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
Betritt man heute die Wälder der Insel, so sind diese gespenstisch ruhig und voll von riesigen Spinnennetzen - man kommt sich vor wie in einem Horrorfilm. Der Grund ist die australische Braune Nachtbaumnatter, eine Schlangenart, die als sehr anpassungsfähig gilt. Sie kam vermutlich in den fünfziger Jahren an Bord eines Frachtschiffs auf die Insel und breitete sich in dem bisher schlangenlosen Ökosystem explosionsartig aus. Heute hat Guam mit etwa 10000 Tieren pro Quadratkilometer die größte Schlangendichte der Welt. Vögel gibt es fast gar nicht mehr, was wiederum dazu führte, dass sich Radnetzspinnen stark vermehren konnten.
Auch der Mensch selbst ist einst im ehemals stabilen Ökosystem der afrikanischen Savanne entstanden, ohne dass es eines externen Schocks bedurfte. Über die Folgen dieser »ökologischen Katastrophe« wird zurzeit genug diskutiert.
Wenn es also über lange Zeiträume stabile »ökologische Gleichgewichte« gibt, dann können diese durch externe Schocks oder durch interne Mutation jederzeit in eine chaotische Phase der Veränderung fallen, die zu einem raschen Auftreten neuer Arten führt.
Spricht dies für oder gegen eine Beschleunigung der Evolution?
Die Idee des Punktualismus sagt zunächst nichts darüber aus, wie oft solche externen Schocks eintreten, trifft also auch keine Aussage über eine mögliche Beschleunigung. Es kann jedoch eine Reihe von Ursachen für eine zunehmende Häufigkeit von Schocks geben:
- Äußere Schocks könnten - aus welchen Gründen auch
immer - wahrscheinlicher werden.
- Eine Zunahme der Komplexität des Gesamtsystems führt nach der Chaostheorie zu einer höheren Wahrscheinlichkeit chaotischer interner Schocks.
- Eine höhere Mutationsrate könnte zu einer größeren Wahrscheinlichkeit zufälliger Mutationen führen, die einen internen Systemschock auslösen.
Die Wahrscheinlichkeit eines großen Asteroideneinschlags auf der Erde verringert sich statistisch im Laufe der Zeit, weil immer weniger Trümmer aus der Entstehungszeit des Sonnensystems übrig sind (die weitaus meisten werden von unserem »kosmischen Staubsauger« Jupiter, dem wir vermutlich die Möglichkeit des Lebens auf der Erde verdanken, angezogen und vernichtet). Auf der Erde selbst nehmen die Veränderungen, wie etwa der Klimawandel, allerdings zu. Das war auch vor dem Eintreffen des Menschen schon so: Die Biomasse auf der Erde ist im Laufe der Evolution immer weiter angewachsen, und damit auch ihr Einfluss auf das Klima.
Auch die zunehmende Vielfalt des Lebens führt zu einer größeren Wahrscheinlichkeit externer Schocks für ein spezifisches Ökosystem. Wir haben bereits gesehen, dass die Evolution zu mehr Vielfalt und Komplexität tendiert. Je komplexer ein Ökosystem ist, desto eher kann es passieren, dass ein vergleichsweise unbedeutendes Ereignis, etwa das Auftreten einer neuen Spezies oder das Aussterben einer alten, zu chaotischen Veränderungen führt. Umweltschützer warnen seit langem vor diesen Zusammenhängen, die durch das Eingreifen des Menschen in die Natur täglich offenbar werden.
Wie bereits ausgeführt, hat auch die Mutationsrate im Laufe der Evolution zugenommen, weil die Natur immer neue genetische »Spielfelder« - Vielzelligkeit, ein Skelett, angeborenes Verhalten und schließlich memetische Evolution - entwickelt hat. Allein die Änderung des Verhaltens von Lebewesen kann sehr wohl ebenfalls zu einem ökologischen Schock führen. Der Mensch ist dafür wiederum das drastischste Beispiel.
Insgesamt betrachtet spricht die Theorie des Punktua-lismus somit nicht gegen eine Beschleunigung des Wandels in der Natur.
Es wäre durchaus möglich, dass der Rückgang der Innovationsrate nach Huebner aufgrund einer Phase relativer Stabilität entsprechend dem Punktualismus zustande kommt. Immerhin müssen sich ja Innovationen stets gegen die schon bekannte, bestehende Technik durchsetzen, die durchaus ihre »Abwehrmechanismen« hat (zum Beispiel die oben erwähnte »Macht der Gewohnheit« des Menschen). Ich persönlich halte es allerdings für wahrscheinlicher, dass Huebners Interpretation der Daten falsch ist und wir uns im Gegenteil mitten in einer Phase extremen Wandels befinden - eines Entwicklungsschubs, der durch die Erfindung des Computers ausgelöst wurde und dessen Auswirkungen wir uns kaum ausmalen können.
Ein weiterer Kritiker der These zunehmender Beschleunigung ist Theodore Modis. Er hat eine Liste der bedeutendsten Ereignisse des Kosmos seit
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