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Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Titel: Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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inzwischen sehr genau untersucht hätte, wüsste auch heute noch niemand, dass es sich um eine Polypenkolonie handelt.
    Aber ist sie auch ein Lebewesen? Das kommt darauf an, wie man den Begriff definiert. Offenbar gibt es in der Natur keine scharfe Trennung zwischen »Individuum« und »Gruppe«, wie es vielleicht auch keine exakte Grenze zwischen »lebendig« und »nicht lebendig« gibt. Eine Staatenqualle ist also »ein bisschen« ein Individuum und ein bisschen eine Gruppe.
    Wenn man allerdings eine Staatenqualle wie die Portugiesische Galeere als Lebewesen definiert, dann wird es ziemlich schwierig, Städte aus dieser Begriffsdefinition auszuklammern - ebenso wie Ameisenhaufen und Bienenvölker.
    Man könnte einen Grad der »Unteilbarkeit« definieren, danach bestimmt, wie fest die Gemeinschaft »aneinanderklebt«. Auf dieser Skala ist ein Bakterium maximal unteilbar, weil es nur aus einer einzigen Zelle besteht. Ein Mensch wäre »ziemlich unteilbar« - immerhin kann man ihn nicht einfach in der Mitte durchschneiden, ohne dass er dabei stirbt. Andererseits haben wir gesehen, dass bestimmte lebensnotwendige Bestandteile unseres Körpers, wie Hautzellen oder Darmbakterien, auch außerhalb von uns lebensfähig sind.
    Staatenquallen würden wir irgendwo in der Mitte der Unteilbarkeitsskala ansiedeln. Sie bestehen eindeutig aus individuellen Lebewesen, doch keines dieser Wesen kann ohne die anderen existieren. Ich bin kein Biologe und weiß nicht, ob es Experimente gegeben hat, Staatenquallen zu zerteilen und die Lebens- und Reproduktionsfähigkeit ihrer Einzelteile zu untersuchen, bin aber skeptisch, ob sie das überleben würden.
    Bestimmte Pflanzenarten, Pilzgeflechte und Würmer kann man dagegen eindeutig zerteilen, ohne ihre Lebensfähigkeit und Reproduktionsfähigkeit insgesamt zu zerstören. Sie wären »nicht unteilbar« und unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht von Wäldern oder Städten. Dennoch werden sie in aller Regel als individuelle Lebewesen angesehen.
    Die Beispiele zeigen, dass die Grenzen zwischen Lebewesen und Nichtlebewesen fließend verlaufen. Dabei ist es unbedeutend, ob man Städte nun »lebendig« nennt oder nicht. Entscheidend ist, dass sie sehr viele - wenn nicht alle - wesentlichen Merkmale von Lebewesen aufweisen und sich aus einer neutralen Perspektive auch genauso verhalten.
    »Aber wir haben doch die Städte gebaut«, werden Sie nun vielleicht einwenden. »Sie können sich doch nicht von selbst vermehren. Und ihr Stoffwechsel funktioniert auch nicht, ohne dass Menschen die nötigen Rohstoffe heranschaffen und die Maschinen zu ihrer Verarbeitung oder zur Energiegewinnung bedienen.«
    Das stimmt - ohne Menschen wären Städte nur leere Hüllen, Skelette aus Beton und Stahl. Aber dasselbe gilt auch für einen Menschen ohne Darmbakterien, jedenfalls nach kurzer Zeit. Und wenn man ganz genau hinschaut, dann werden die Knochen eines menschlichen Körpers ja auch von bestimmten, dafür spezialisierten Lebewesen -Zellen - »gebaut«.
    Es gibt natürlich zahllose Unterschiede zwischen Städten und Menschen oder anderen Mehrzellern. Beispielsweise können Körperzellen mit wenigen Ausnahmen von »Geburt« an nur eine einzige, genau definierte Aufgabe übernehmen, während sich der Mensch als Teil des Organismus »Stadt« erst später für eine bestimmte Spezialisierung entscheidet und diese sogar mehrfach wechseln kann. Aber diese Unterschiede sind eben nicht prinzipieller Natur.
    Es ist vielleicht nicht ganz einfach, sich mit dem Gedanken anzufreunden, Städte seien Lebewesen. Aber wenn man sich an ihn gewöhnt, dann merkt man, wie sich eine andere, scheinbar unverrückbare Grenze aufzulösen beginnt: die Trennung zwischen »natürlich« und »künstlich«.
    Wir Menschen neigen dazu, uns selbst die Schuld an vielen Weltproblemen, wie zum Beispiel der Klimaveränderung, zu geben. Natürlich liegt darin viel Wahrheit, aber es ist in gewisser Hinsicht auch eine Anmaßung. Denn wir tun so, als sei das quasi »aus Versehen« passiert und wir hätten ohne weiteres die Möglichkeit gehabt, einen anderen Weg einzuschlagen. Das aber setzt voraus, dass wir alle Entscheidungen auf dem Weg zu einer deutlichen Steigerung des CO 2 -Ausstoßes bewusst aus freien Stücken getroffen haben und jederzeit revidieren können. Wenn wir jedoch die technische Entwicklung als einen weitgehend ungerichteten Evolutionsprozess betrachten, dann wird klar, dass das nicht so ist.
    Die eigentlichen Übeltäter in Bezug

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