Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
zögerte dann, als habe sie Angst davor. »Wie lautet mein richtiger Name?«, tippte sie schließlich.
»Lucy ist ein richtiger Name«, gab das Programm zurück.
»Wie lautet der Name, der in meinem Personalausweis steht?«
»Lisa Jennifer Hogert.«
»Das gibt es doch nicht«, warf Mark ein. »Wie kann sie das wissen?«
Lisa beachtete ihn nicht. »Wie heißt die Hauptstadt von Peru?«, tippte sie.
»Lima ist die Hauptstadt von Peru.«
»Wie ist das Wetter in Lima?«
»Die Temperatur in Lima beträgt zurzeit 32,3 Grad. Es ist leicht bewölkt. Die Windgeschwindigkeit liegt unter 5 km/h. Die Luftfeuchtigkeit beträgt 57%.«
»Wie hieß der dritte Präsident der USA?«
»Thomas Jefferson war von 1801 bis 1809 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.«
Ich habe im Roman dem Computervirus »Pandora« die Fähigkeit gegeben, wie ein Mensch mit Menschen zu kommunizieren. Das habe ich vor allem aus dramaturgischen Gründen getan. In Spannungsromanen geht es um einen zentralen Konflikt des Protagonisten mit einem Antagonisten, dem »Bösewicht«. Im Buch ist Pandora dieser Antagonist. Damit die Geschichte spannend ist, muss der Leser sich in den Antagonisten zumindest ein Stück weit hineinversetzen können. Er muss seine Motive verstehen, seine Beweggründe, seien sie auch noch so niedrig, nachvollziehen können. Damit das auch im Roman funktioniert, musste ich Pandora menschliche Züge verleihen. Ich musste sie mit menschlicher Stimme reden lassen, sonst hätte niemand das Buch verstanden. Kubrick ging in »2001« ganz ähnlich vor: Im Film redet der intelligente Computer HAL nicht nur wie ein Mensch, er hat auch eine sehr sanfte, freundliche Stimme, die in hartem Kontrast zu seinen Handlungen steht und die ganze Szenerie noch gruseliger macht.
Wie gesagt, an dieser Stelle wird das Buch grob unrealistisch. Eine echte, von selbst aus einem sich vernetzenden Virus entstandene künstliche Intelligenz würde nicht mit uns plaudern. Wir würden sie wahrscheinlich nicht einmal bemerken.
Wir neigen dazu, Dinge systematisch zu unterschätzen, die nicht so sind wie wir. Der »Intelligenztest« des US-Militärs, der die scheinbare geistige Überlegenheit weißer Amerikaner deutlichmachte, ist ein plastisches Beispiel dafür. Jahrzehntelang unterschätzte man zum Beispiel auch die Intelligenz von Menschenaffen, weil sie nicht sprechen lernen können. Doch das liegt nicht an ihrem Verstand: Schimpansen und Gorillas fehlen die lautbildenden Organe unseres Rachenraums. Als man ihnen Zeichensprache beibrachte, stellte man überrascht fest, dass ihr Intelligenzniveau wesentlich dichter an das der Menschen heranreicht, als man es bis dahin für möglich gehalten hatte. Berühmtheit erlangte beispielsweise in den siebziger Jahren die Gorilladame Koko, die über 200 Begriffe aus der Taubstummen-Gebärdensprache sicher beherrschte und bis zu 1 000 »Wörter« gelegentlich benutzte. Koko soll auch selbst Worte »erfunden« haben: So kombinierte sie angeblich für die Beschreibung einer Ente die Gebärden für »Wasser« und »Vogel«.
Inzwischen weiß man, dass selbst Krähen »logisch denken« und Probleme durch Schlussfolgerungen lösen können. Natürlich sind sie nicht so intelligent wie Menschen, aber so einzigartig, wie wir geglaubt haben, sind wir offenbar nicht. Möglicherweise werden wir eines Tages feststellen, dass uns Delphine mit ihren komplexen Gehirnen in einigen Bereichen sogar geistig überlegen sind. Bisher hindert uns vielleicht nur die Sprachbarriere daran, das herauszufinden.
Indem wir unsere eigenen Maßstäbe als universell deklarieren, sorgen wir dafür, dass wir selbst stets ganz oben auf der Skala bleiben: Die Evolution hat 4 Milliarden Jahre nur darauf gewartet, dass endlich der Mensch als Krone der Schöpfung auf der Bildfläche erscheint. Der Weltraum dreht sich um die Erde in seinem Zentrum, also können die anderen Planeten nicht so wichtig sein. Gott hat den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen. Und da sollen Computer plötzlich denken können? Besser Schach spielen vielleicht, besser rechnen, schneller und präziser Informationen verarbeiten - aber denken? Nein, den Turing-Test werden sie niemals bestehen!
Diese Sichtweise verbaut uns, wie schon so oft in der Geschichte, den Blick für das Wesentliche: Wir bilden uns ein, unerreichbar zu sein, und sind doch längst von der me-metischen Evolution überholt worden.
Bis vor kurzem war das menschliche Gehirn die komplizierteste Struktur im
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