Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
bekannten Universum. Heute dürfte das Internet als komplexes Netzwerk von mehreren hundert Millionen Computern diesen Titel innehaben. Und wie in Teil I ausgeführt, wächst seine Kapazität rasant. Seine Informationsverarbeitungsfähigkeit übertrifft die eines einzelnen Menschen in jeder Hinsicht bei weitem. Nur »denken« kann es nicht - jedenfalls nicht so wie ein Mensch.
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, warum wir überhaupt denken können: Unsere Gehirne sind besonders leistungsfähige Mem-Kopierer. Wir haben von der memeti-schen Evolution profitiert und dabei nicht gemerkt, dass wir in Wahrheit die Diener dieser Evolution sind. Doch nun braucht uns die memetische Evolution im Grunde nicht mehr. Denn Computer können Meme viel besser reproduzieren, mutieren und selektieren als wir.
An dieser Stelle werden vermutlich viele Leser entrüstet den Kopf schütteln. Es mag ja sein, werden sie einwenden, dass Maschinen Informationen besser speichern und schneller verarbeiten als Menschen. Aber sie tun das schließlich nicht von selbst. Computer machen nur das, was Programmierer ihnen sagen. Das Beispiel des kleinen Roboters Elbot zeigt deutlich, dass hinter der vermeintlich künstlichen Intelligenz in Wahrheit menschliche Brillanz steht.
Das stimmt - zum Teil. Elbots vermeintliche Sprach-fähigkeit ist in der Tat das Ergebnis der Kreativität menschlicher Programmierer. Aber Wissenschaftler wie beispielsweise Professor Luc Steels vom Artificial Intelligence Laboratory der Universität Brüssel haben längst begonnen, Maschinen zu bauen, die ohne menschliche Anleitung miteinander kommunizieren und dabei ihre eigene Sprache und sogar Grammatik entwickeln.
Wie wir schon gesehen haben, kann man komplexe Software nur noch mit Hilfe komplexer Software schreiben. »Neuronale Netze« sind in der Lage, sich ähnlich wie Neuronen im menschlichen Gehirn selbst zu organisieren. Und selbst wenn der Mensch ein Teil dieses komplexen Systems ist, so bedeutet das nicht, dass er tatsächlich kontrolliert, was geschieht, wie wir am Beispiel des »Jahr-2000-Problems« gesehen haben.
Den Memen ist es egal, ob sie von Menschen, von Maschinen oder in einer Kooperation von beiden weiterentwickelt werden. Der Evolutionsdruck sorgt einfach dafür, dass diese Entwicklung immer weitergeht und - von gelegentlichen Stagnationsphasen nach der Punktualismus-Theorie vielleicht abgesehen - immer schneller wird.
Die Entwicklung des Internets führt uns sehr deutlich vor Augen, wie sich die memetische Evolution mehr und mehr aus unseren Händen und Gehirnen befreit.
Der Ursprung des Internets lag im Arpanet, einem militärischen Kommandosystem. Man befürchtete während des Kalten Kriegs in den USA, dass ein sowjetischer Atomschlag die Kommandostruktur auslöschen könnte, die bis dahin - wie praktisch alle Computersysteme - an einem zentralen Punkt untergebracht war. Also schuf man ein Netz von verteilten Rechnern. Selbst wenn ein großer Teil dieser Rechner ausfiel, konnten die übrigen dennoch weiter miteinander kommunizieren und so die kriegsentscheidende Informationskette aufrechterhalten. Vermutlich ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte man damit eine Struktur geschaffen, die der eines Gehirns ähnlich ist.
Auch unser Gehirn arbeitet nicht »zentralistisch«. Informationen und Erinnerungen sind nicht an einem bestimmten Ort gespeichert, sondern oft über das ganze Gehirn verteilt. Es bilden sich zwar funktionale Knoten, doch diese können teilweise auch »umfunktioniert« werden. Beispielsweise weist das Gehirn bei einer Erblindung den Teilen, die eigentlich für das Verarbeiten von Bildern zuständig sind, andere Aufgaben zu, so dass die Betroffenen unter anderem besser hören können.
In seinen frühen Tagen übertrug das Arpanet recht simple Informationen; die angeschlossenen Knotenrechner hatten nur eine geringe Verarbeitungskapazität. Mit dem Ende des Kalten Kriegs wurde es in Internet umbenannt und für die zivile Nutzung geöffnet. Es mutierte zunächst zum Informationsnetz für eingeweihte Wissenschaftler, legte aber durch den Anschluss diverser Universitätsrechner schon deutlich an Komplexität und Rechenleistung zu. Als Tim Berners-Lee 1992 das World Wide Web schuf, begann der Siegeszug des Internets, erst richtig. Doch es traten auch die ersten durch die enorme Komplexität verursachten Probleme auf.
In den ersten Tagen des WWW konnte man alle relevanten Informationen und Weblinks noch auf einer »Indexseite«
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