Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
Meine Hände stört das nicht - sie scheinen tatsächlich zu »denken« und schreiben, was immer ich ihnen »sage«. In gewisser Hinsicht werde ich eins mit dem Laptop. Meine Finger »verbinden« sich mit der Tastatur; der Bildschirm gibt die getippten Buchstaben in einer Rückkopplung an mein Gehirn zurück. Ein perfekter Regelkreis, den man mit noch so vielen Kabeln kaum optimieren könnte.
Maschinen sind uns also bereits sehr viel nähergekommen, als uns in der Regel bewusst ist. Sie werden immer bequemer, wir empfinden sie immer seltener als Fremdkörper. Man könnte sagen, sie werden immer mehr ein Teil von uns. Andersherum betrachtet werden wir immer mehr ein Teil der Maschinen, was wiederum bedeutet, dass sie auch viel mehr Einfluss auf uns haben, unser Verhalten immer stärker steuern und kontrollieren.
In manchen Science-Fiction-Romanen kann man von »Paralysatoren« lesen - pistolenartigen Geräten, die einen »Lähmstrahl« aussenden, der den Gegner sofort bewegungsunfähig macht. Den wenigsten Menschen ist klar, dass es diese Erfindung schon seit den dreißiger Jahren gibt. Sie steht in jedem Haushalt und heißt »Fernsehgerät«.
Das mag wie Satire klingen, aber es ist wahr: Jeden Abend hocken Milliarden Menschen regungslos vor einem kleinen Kasten. Sie sind gelähmt, vergessen alles um sich herum. Ihre Gehirne sind quasi von ihren Körpern entkoppelt und gehen eine innige Verbindung mit der mehrere Meter entfernten Maschine ein, die ihre »Lähmstrah-len« auf sie richtet.
Das soll kein Plädoyer gegen das Fernsehen an sich sein. Sicher ist es nützlich, Nachrichten und Wissenschaftssendungen sehen zu können oder sich einmal bei einer Spielshow oder einem Krimi zu entspannen. Doch kaum jemand wird bezweifeln, dass die meisten Menschen viel zu viel fernsehen, dass es besser für uns wäre, wir würden wenigstens einen Teil der Zeit nutzen, um miteinander zu reden, ein Bild zu malen, einen Brief zu schreiben, ein Buch zu lesen, Sport zu treiben oder einfach früher ins Bett zu gehen.
Ich selbst habe vor einigen Jahren beschlossen, auf das Fernsehen weitgehend zu verzichten. Dieser Entschluss war zugegebenermaßen nicht ganz freiwillig: Um regelmäßig schreiben zu können, blieb mir aus beruflichen Gründen nichts anderes übrig, als dafür jeden Morgen eine Stunde früher aufzustehen. Die Konsequenz war, dass ich abends entsprechend früher schlafen gehen und dafür »die Glotze« ausgeschaltet lassen musste. Seitdem habe ich keine Minute davon vermisst.
Warum tun wir uns das an? Warum lassen wir uns so oft von unserem Fernseher paralysieren? Sind wir faul oder dumm? Wahrscheinlich ein bisschen von beidem, aber vor allem liegt es daran, dass das Fernsehen ein unerhört attraktives Programm anbietet.
Dieser Satz, geschrieben von jemandem, der einmal als Marketingleiter bei einem Fernsehsender tätig war, klingt wie Wasser auf die Mühlen der Fernsehmanager und wie ein Schlag ins Gesicht der Kulturkritiker, die sich vergeblich am niedrigen Niveau des Unterhaltungsfernsehens abarbeiten. Gemeint ist es jedoch völlig anders. Es ist einfach eine Tatsache, dass sich das Fernsehprogramm durch me-metische Evolution so gut an die menschliche Psyche angepasst hat, dass es ihm gelingt, uns viel länger zu binden, als wir selbst das eigentlich wollen.
Das Fernsehprogramm ist ein perfektes Beispiel für die Wirkungsweise memetischer Evolution, für Reproduktion, Mutation und Selektion. Kaum eine Branche kann den
Erfolg ihrer Produkte so schnell und so unmittelbar messen. Bereits am nächsten Morgen weiß der Programmchef eines Senders, wie viele Menschen am Abend zuvor welche Sendung gesehen haben und welchen Marktanteil das bedeutet. Diese Zahlen haben unmittelbaren Einfluss auf die Einnahmen des Senders, denn meist bezahlen Werbekunden keine festen Preise für Fernsehspots, sondern einen Betrag pro 1000 Zuschauer. Wenn also eine Sendung 4 Millionen Zuschauer hatte, sind die Einnahmen etwa doppelt so hoch, als wenn »nur« 2 Millionen Menschen zugesehen haben. Entspricht die Zuschauerzahl den Erwartungen, ist es gut; wenn nicht, wird die Sendung, falls weitere Folgen geplant waren, manchmal buchstäblich von heute auf morgen abgesetzt.
Fernsehsendungen sind Meme. Wenn ein Sendungs-Mem erfolgreich ist, wird es reproduziert. Dies kann zum Beispiel durch weitere Folgen einer Serie oder Show auf demselben Sender geschehen oder dadurch, dass andere Sender das erfolgreiche Sendekonzept übernehmen. Natürlich
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