Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
durch Computer, um verlorengegangene Sinne zu stimulieren. Beispielsweise können durch direkte Reizung des Sehnervs Bilder einer Digitalkamera ins Gehirn eines Blinden übertragen werden. Die Technik steckt noch in ihren Anfängen, doch rasche Fortschritte sind zu erwarten.
Wieder einmal verstellt jedoch diese Betrachtungsweise den Blick für die Realität. Wir glauben, dass wir eines Tages eine direkte Verbindung mit Maschinen eingehen werden, und stellen uns dazu eine Kabelverbindung vor, die wir jederzeit trennen können. Tatsächlich jedoch gehen wir solche engen Verbindungen schon jetzt täglich ein. Denn auch ohne Steckverbindung bilden Mensch und Maschine ein System aus miteinander kommunizierenden Teilen, die viel enger aneinandergekoppelt sind, als uns das bewusst ist.
Das menschliche Gehirn verfügt über bemerkenswerte Eigenschaften. Eine davon ist, dass es »vergisst«, wo die
Grenzen des eigenen Körpers liegen. Sportler sind nicht scheinbar, sondern tatsächlich »eins« mit ihrem Sportgerät - für das Gehirn eines guten Tennisspielers ist der Schläger ein Teil seines Körpers. Ihm ist nicht mehr bewusst, dass er einen Schläger hält - er bewegt sich einfach so natürlich, als wäre sein rechter Arm entsprechend lang. Gleiches erleben Sie beispielsweise, wenn Sie gut Schlittschuh laufen.
Wenn Sie diese These anzweifeln, machen Sie folgendes Experiment: Setzen Sie sich einen Rucksack mit spürbarem Gewicht auf und tragen Sie ihn einige Stunden lang, während Sie Ihrer normalen Tätigkeit nachgehen. Irgendwann spüren Sie das zusätzliche Gewicht nicht mehr; für Ihr Gehirn ist der Rucksack »eins« mit Ihnen geworden. Nehmen Sie ihn später ab, fühlen Sie sich plötzlich leicht; etwas scheint zu fehlen.
Diese Fähigkeit haben wir entwickelt, damit wir uns schnell an zusätzliche Belastungen und Behinderungen anpassen können. Blinde lernen so schneller, sich ohne Augenlicht zurechtzufinden, körperbehinderte Menschen können ihre Behinderung oft mit erstaunlicher Geschicklichkeit ausgleichen. Unser Gehirn gewöhnt sich an diesen Zustand, stuft ihn als »normal« ein und verhält sich entsprechend.
Wenn Sie täglich Auto fahren und dann einmal einen fremden Wagen benutzen, fühlt sich dieses Fahrzeug oft »falsch« an - ein Indiz dafür, dass sich unser Körper unbewusst mit dem Fahrzeug »verbindet«. Beim Autofahren vergessen wir schnell, dass wir in einer Maschine sitzen, die wir steuern müssen. Schalten, bremsen, Gas geben sind keine bewussten Tätigkeiten mehr, ebenso wenig, wie wir bewusst einen Fuß vor den anderen setzen, wenn wir gehen. Sie sind uns sprichwörtlich »in Fleisch und Blut über-gegangen«. Wir bewegen uns durch den Verkehr, als sei das Fahrzeug ein Teil von uns - als seien wir eins mit ihm. Mein Vater, ein erfolgreicher Rennfahrer, berichtete davon, »die Strecke durch das Fahrzeug fühlen« zu können. Unser Gehirn erweitert sozusagen seinen Horizont über die Grenzen des Körpers hinaus.
Wir können dadurch Maschinen und Geräte viel effektiver nutzen, als wenn wir ständig darüber nachdenken müssten, was wir da eigentlich tun. Die eingesparte geistige Kapazität können wir anders nutzen, zum Beispiel, um uns während einer Autofahrt zu unterhalten, zu telefonieren, Radio zu hören oder einfach ein bisschen zu träumen. Wenn Sie schon einmal versehentlich den Routineweg zur Arbeit genommen haben, statt ihr eigentliches Ziel anzusteuern, wissen Sie, wie unbewusst der Vorgang des Autofahrens abläuft.
Maschinen und ihre Produkte nutzen diese Fähigkeit auf unterschiedliche Weise. Indem sie sich uns immer besser anpassen, werden sie quasi ein Teil von uns und machen sich so in gewisser Hinsicht unentbehrlich - wer würde schon freiwillig einen Arm hergeben? Wir »vergessen« die Grenze zwischen Mensch und Maschine einfach und werden so zu »Cyborgs«, ohne es überhaupt zu merken - ganz ohne komplizierte neuronale Interfaces.
Ich persönlich bin immer wieder erstaunt über den Vorgang des Maschineschreibens. Als ich mir das Zehnfingersystem vor langer Zeit beibrachte, las ich auf der Titelseite des Lehrbuchs den Slogan »Ihre Finger lernen denken!«. Ich hielt das damals für übertrieben, aber es stimmt: Ich muss nur einen Satz im Geist formulieren, und schon erscheint er wie von Zauberhand auf dem Bildschirm des Laptops vor mir. Ich kann mir sogar selbst dabei zusehen und, während ich diesen Satz schreibe, darüber nachden-ken, wie das eigentlich funktioniert.
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