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Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Titel: Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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Computerkriminalität läuft hochgradig automatisch ab. Phishing-Mails werden mit Hilfe von automatisierten E-Mail-Programmen verschickt, die das Internet selbständig nach leichtfertig veröffentlichten E-Mail-Adressen absuchen. Fällt der Adressat auf die Mail herein, klickt auf den Link und gibt seine Kontodaten ein, wird das Geld natürlich ebenfalls vollautomatisch abgebucht.
    Wieder einmal ist hier ein evolutionärer »Rüstungswettlauf« zu beobachten: Je mehr Menschen die Phishing-Tricks durchschauen, desto raffinierter werden diese. Die nicht überlebensfähigen, weil zu leicht erkennbaren Tricks sterben aus, neue, raffiniertere Mutationen überleben.
    Natürlich gibt es auch Versuche, die illegale Nutzung des Internets mit Technologie zu verhindern. Sicher kennen Sie diese merkwürdigen verzerrten Zahlen und Buchstaben, die man manchmal eingeben muss, wenn man eine Online-Funktion nutzen möchte:
    Bitte gib das verzerrt angezeigte Wort ein
    Ein Schutzmechanismus gegen automatisierte Nutzung von für Menschen bestimmten Internet-Funktionen
    Der Fachbegriff dafür ist »CAPTCHA« - entstanden als Akronym aus der Bezeichnung »Completely Automated Public Turing Test To Tell Computers And Humans Apart«, zu Deutsch: »Vollautomatischer öffentlicher Turing-Test, um Computer und Menschen zu unterscheiden«. Diese Barriere soll verhindern, dass ein automatisches Programm die Funktion illegal nutzt, um zum Beispiel unerwünschte Werbung zu verbreiten. Das Beispiel entstammt der Kommentarfunktion des Online-Tagebuch-Services Twoday.net. Die Idee dabei ist, dass automatische Systeme die Buchstaben nicht lesen können und daher nicht in der Lage sind, den Code in das vorgesehene Feld einzugeben.
    Dummerweise sind Maschinen sehr wohl dazu in der Lage, Texte zu lesen, und sie werden darin immer besser. Die Konsequenz ist, dass das obige CAPTCHA für ernstzunehmende Spammer kein Hindernis mehr darstellt. Ergo: Ein Rüstungswettlauf. Neuere Anwendungen liefern Bilder wie das folgende:

    Können Sie das entziffern? Ist das erste Gebilde ein A, oder die beiden Buchstaben f und l? Heißt es Airc, flirc oder flivc, oder vielleicht gar flirt? Für viele Menschen ist das Lesen derart verzerrter Texte eine echte Herausforderung und ein entnervender Zeitverlust. Ich persönlich habe bei solchen Eingaben schon häufiger danebengelegen und konnte die Funktion dann nicht unmittelbar nutzen. Schlimmer noch: Forthin musste ich noch häufiger solche CAPTCHAs entziffern, weil die Maschine mich im Verdacht hatte, ein Automat zu sein.
    Der Anstieg des Spam-Volumens selbst aus solchermaßen geschützten Services deutet darauf hin, dass Maschinen sogar derart verbogene Texte inzwischen mit einer Trefferquote von mindestens 20 bis 30 Prozent lesen können - gut genug für ein vollautomatisches Spam-
    System. Maschinen bestehen also diesen »vollautomatischen Turing-Test« immer häufiger. Menschen, die ihre Mustererkennungsfähigkeiten nur sehr mühsam verbessern können, haben in diesem Rüstungswettlauf auf Dauer keine Chance. Mark Sunner, Sicherheitsanalyst der Firma MessageLabs, bemerkt in einer Pressemitteilung der Firma vom 29. 2. 2008: »Es gibt verschiedene Möglichkeiten für Spammer, CAPTCHAs zu überwinden. Egal, ob sie dabei einen Algorithmus, einen >mechanischen Türken< oder eine Kombination von beidem verwenden, stehen E-Mail-Anbieter unter dem Druck, Schritt zu halten, sind aber dadurch beschränkt, was Menschen realistisch lösen können. Dies wirft immer mehr Zweifel auf, ob CAPTCHAs als Sicherheitsmechanismums für E-Mail-Services langfristig effektiv sind.«
    Der Begriff »mechanischer Türke« (im Original »mecha-nical turk« in Anspielung auf einen von der Firma Amazon in den USA angebotenen Service) steht in diesem Zusammenhang für die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine: Was Maschinen nicht entziffern können, schicken sie an billige Arbeitskräfte in Niedriglohnländern, die dann
    - in exakter Umkehrung der ursprünglich gedachten Verhältnisse - im Auftrag eines Computers stupide Routinetätigkeiten verrichten. 1:0 für die Computer!
    Maschinen passen sich aber nicht nur dadurch an uns an, dass sie uns maßgeschneiderte Werbung, Verführung und Täuschung bieten und so für eine bessere Verbreitung ihrer Meme sorgen. Sie versuchen auch, uns mit echtem Produktnutzen zu »umgarnen« und uns buchstäblich jeden Wunsch zu erfüllen. Trotz aller Tricks der Evolution gibt es schließlich auch in der Natur einen

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