Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
er einen Säbelzahntiger sah. Aber er wusste nicht, warum es regnet, ebenso wenig, wie er die Funktion der Organe eines Säbelzahntigers kannte.
Vor etwa einer Menschengeneration, Anfang der siebziger Jahre, bestand ein typischer Büroarbeitsplatz aus einem Schreibtisch, Postein- und -ausgangskorb, einem Drehkreuz mit Stempeln, einer Schreibmaschine und einem Telefon. Alle betrieblichen Informationsprozesse liefen auf Papierbasis ab. Wollte man etwas vervielfältigen, gab es Durchschlagpapier - Fotokopierer waren noch eine teure Seltenheit. Musste man Dokumente verschicken, gab es dafür nur zwei Wege: Die gewöhnliche Post oder, wenn es schnell gehen musste, den sündhaft teuren Kurierdienst. Texte konnten elektronisch mit riesigen Telexmaschinen, die auf Lochstreifenbasis arbeiteten, oder per Telegrafie übertragen werden. Telefax-Geräte existierten zwar schon, aber da man nicht davon ausgehen konnte, dass der Empfänger eines Dokuments eines besaß, blieb ihre Nutzung noch die Ausnahme.
Die Funktionsweise all dieser Geräte konnte ein Durchschnittsbürger ohne technische Vorbildung verstehen, wenn man sie ihm erklärte. In die Schreibmaschine konnte man hineingucken und sehen, wie sich die Hebelarme mit den Buchstaben bewegten, wenn man eine Taste drückte. Wenn sich, was häufig vorkam, zwei Hebel verklemmten oder sich das Farbband verhedderte, löste man das Problem mit der Hand.
Schon 10 Jahre später sah die Bürowelt völlig anders aus. Die mechanischen Schreibmaschinen waren fast völlig durch elektrische verdrängt worden, deren Funktionsweise sich Nichttechnikern nicht mehr unmittelbar erschloss. In den Finanzabteilungen standen Computer mit bernsteinfarben oder grünlich leuchtenden Monitoren. Ihre Software war zwar meist nur wenige Tausend Programmzeilen lang und in der Regel von der hauseigenen Datenverarbeitungsabteilung entwickelt worden. Trotzdem ging sie weit über den Verständnishorizont der meisten Menschen hinaus, die damit arbeiteten. Telefaxe hatten die alten Telexe verdrängt und machten so manche Kuriersendung überflüssig, Kopierer und Computerdrucker sorgten für eine wahre Papierschwemme in den Büros.
Das Verständnis des normalen kaufmännischen Angestellten in Bezug auf die Technik, die er verwendete, war bereits deutlich gesunken.
Noch einmal 10 Jahre später, Anfang der neunziger Jahre: Schreibmaschinen werden kaum noch genutzt, die Telefaxe erreichen ihren maximalen Verbreitungsgrad, Computer gehören zur Standardausstattung jedes Arbeitsplatzes. Software wird nicht mehr selbst entwickelt, sondern spezialisierte Firmen übernehmen diese Aufgabe. Folgerichtig heißt der reichste Mann der Welt Bill Gates. Computerprobleme können nicht mehr vollständig durch die hauseigene EDV gelöst werden, immer häufiger müssen externe Spezialisten hinzugezogen werden. Otto Normalanwender gewöhnt sich an Vokabeln wie »Computerabsturz«, »Sicherheitskopie« und »Virus«. Dass es ein Internet gibt, mit dem man global Daten austauschen kann, wissen allerdings nur die wenigsten, und E-Mail-Adressen haben nur Wissenschaftler und Computerfreaks.
Schauen Sie sich heute an einem typischen Arbeitsplatz um. Selbst in die Fabrikhallen haben Computer Einzug gehalten - sie steuern Maschinen, teilen mit, was als Nächstes zu tun ist, verwalten die Arbeitszeit. Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass wir die Maschinen, die wir benutzen, nicht einmal mehr ansatzweise verstehen. Auch die IT-Abteilung (irgendwann in der Zwischenzeit ist die deutsche Abkürzung »EDV« aus der Mode gekommen) kann bei Problemen meist nur mit den Schultern zucken und versucht, aus dem Internet ein aktuelles »Update« der verwendeten Software herunterzuladen, in der Hoffnung, dass irgendwer beim Hersteller das Problem inzwischen erkannt und behoben hat.
Denken Sie 10 Jahre weiter, 20, 50. Wie sieht die Welt dann aus? Man muss gar nicht über konkrete technische Entwicklungen spekulieren, um zu erkennen, dass wir praktisch überall von einer Technik umgeben sein werden, die wir nicht mehr verstehen. Unsere Kleidung wird möglicherweise komplexe Computertechnologie enthalten, ebenso wie unsere Küchengeräte, Spielzeuge und Möbel. Vielleicht können wir auf Knopfdruck die Farbe unseres Anzugs oder unser Tapetenmuster verändern. Auf jeden Fall werden wir auf Schritt und Tritt von Computern begleitet sein, Computern, die so allgegenwärtig sind, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen - so wenig, wie uns heute bewusst
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