Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
freiwillig »die blaue Pille schlucken« und ihr Interesse an der Kolonisation des Weltalls einfach vergessen.
Nach einer etwas pessimistischeren Sichtweise führt die memetische Evolution irgendwann zwingend dazu, dass biologische Wesen durch Maschinen ersetzt werden, die nicht über einen natürlichen, genetisch programmierten Ausbreitungsdrang verfügen. Eine andere Möglichkeit wäre die, dass unser Universum selbst eine Simulation ist und wir die Studienobjekte einer überlegenen Zivilisation, die wir ebenso wenig wahrnehmen können wie Bakterien unter dem Mikroskop den Menschen, der sie beobachtet.
Diese Gedanken sind nicht als wissenschaftlich fundierte Hypothesen gemeint. Sie sollen lediglich illustrieren, welche Konsequenzen das »Schlucken der blauen Pille« letztendlich haben könnte.
Wir haben gesehen, zu welchen Konsequenzen das Konzept der memetischen Evolution führt:
- Der Unterschied zwischen »natürlich« und »künstlich«, zwischen »lebendig« und »nicht lebendig« verwischt.
- Meme sind (genau wie Gene) »egoistisch«. Sie breiten sich auch dann aus, wenn uns das schadet. Produkte, die Früchte der Meme, manipulieren und verführen uns, so wie Blumen die Bienen manipulieren.
- Memetische Evolution begegnet uns überall, im Supermarkt, in Büchern und Geschichten. Selbst unser Bild von Gott ist ein Produkt der Evolution.
- Unsere Sichtweise, dass »denken« bedeutet, »wie ein Mensch zu denken«, verstellt uns den Blick dafür, dass uns Maschinen in vielen Bereichen bereits übertreffen. In wenigen Jahrzehnten wird es praktisch nichts mehr geben, was Maschinen nicht besser können als wir -außer, wie ein Mensch zu sein.
- Maschinen sind wesentlich effizienter darin, Meme zu reproduzieren, zu mutieren und auch zu selektieren. Und sie passen sich viel schneller an uns an als wir uns an sie. Auch ohne neuronale Schnittstellen gehen wir immer engere Mensch-Maschine-Verbindungen ein. Damit vergrößert sich auch unsere Abhängigkeit von ihnen und ihr Einfluss auf uns.
- Der Reiz virtueller Welten wird immer stärker. Es besteht die Gefahr, dass viele Menschen freiwillig »die blaue Pille schlucken« und den Kontakt zur Realität mehr und mehr verlieren.
Was bedeutet das alles für unsere Zukunft? Wie sollen wir damit umgehen? Diese Fragen sind Gegenstand des dritten Teils des Buches.
So lasst uns denn ein Apfelbäumchen selektieren
3.1. Zurück in die Steinzeit
Wir haben gesehen, dass Computer virtuelle Welten simulieren können, die uns helfen, die Realität besser zu verstehen. Mit ihrer Hilfe kann man Produkte testen, bevor sie überhaupt existieren.
Der nächste Schritt ist es, dem Computer selbst die Entwicklung und Verbesserung von Produkten und Prozessen zu überlassen. Dies geschieht zum Beispiel mit Hilfe sogenannter »genetischer Algorithmen«, die bereits in den sechziger Jahren entwickelt wurden. Der Bezug zur Genetik soll andeuten, dass die Prinzipien der Evolution -Reproduktion, Mutation, Selektion - Anwendung finden. Dafür wird auch der Begriff Evolutionsstrategien verwendet.
Genetische Algorithmen beziehungsweise Evolutionsstrategien gehören in den Bereich der heuristischen Lösungsverfahren. Das bedeutet, sie suchen nicht nach einer mathematisch »perfekten« oder optimalen Lösung, weil das zugrundeliegende Problem dafür zu komplex ist. Statt-dessen geben sie sich mit »guten« Lösungen zufrieden. Solche heuristischen Lösungsverfahren werden in fast allen Bereichen der technischen Entwicklung und bei betriebswirtschaftlichen Entscheidungen angewandt, weil es in der Praxis kaum Möglichkeiten gibt, mathematisch optimale Lösungen zu finden und umzusetzen. Praktische Anwendungen genetischer Algorithmen finden sich beispielsweise bei der Verbesserung von Strömungseigenschaften von Autokarosserien, Flugzeugtragflächen oder auch Gas- und Wasserleitungen.
Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass genetische Algorithmen keine »Intelligenz« voraussetzen. Computer müssen also nicht »denken« können, um Produkte zu verbessern oder neue zu entwickeln. Allerdings benötigen sie heute noch einen Menschen, der eine Ausgangslösung (zum Beispiel den ersten Entwurf einer Karosserie), die gewünschten Parameter (zum Beispiel Luftwiderstand) und gewisse Rahmenbedingungen (zum Beispiel genug Platz für vier Insassen) definiert.
Ein anderes Beispiel für automatische Produktentwicklung sind die bereits erwähnten Codegeneratoren in
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