Schokoherz
mich lediglich ein Gedanke zurück in mein Bürooutfit zwingen: die nächsten zehn Jahre lang alle drei Monate zwei Paar Schuhe Marke Startrite finanzieren zu müssen.
An jenem kalten Montagmorgen, als auch die letzte Minute der freien Tage ausgekostet war, zog ich also unsere Haustür hinter mir zu und lehnte mich einen Moment dagegen. Drinnen waren die zweistimmigen Protestschreie zu hören, die mein Verschwinden hervorgerufen hatte. Ich schloss die Augen, atmete tief durch und zwang mich zu einem kleinen Lächeln. Lorna war ein wunderbares Kindermädchen. Oliver mit seinen knapp drei betete sie an, und auch Maddie, die fast ein Jahr alt war, würde ihre fröhliche Art bald lieben. Den beiden würde es gutgehen. Nur, wie stand es um mich selbst? Ich mochte mich zwar fühlen, als hätte man mir ein paar Gliedmaßen amputiert, doch im Büro würde ich hoffentlich wenigstens Gelegenheit haben, mal ohne Unterbrechung eine Tasse Kaffee auszutrinken und eine Ausgabe von Hello komplett zu lesen – zwingende Arbeitslektüre.
Mit einem Becher schaumigem Costa-Lot-Kaffee betrat ich schwungvoll unser Großraumbüro und schlängeltemich zwischen den grauen Tischen hindurch. Fast überall musste ich hallo sagen und mich ein paar Takte unterhalten. Schließlich hatte ich meine Kollegen seit Monaten nicht mehr gesehen. Jennifer von der Bildredaktion war ebenfalls im Mutterschutz, und alle lästerten über ihre entsetzliche Vertretung, die sich weigerte, die Fotos der Kollegen unter den Artikeln ein wenig zu verschönern. Dann gab es da noch die brandaktuelle Geschichte, dass die Reiseabteilung für den Chefredakteur einen kostenlosen Urlaub organisiert hatte. Dort verwandelte der Monsunregen den exklusiven Club in ein riesiges Freibad. Leider wurde der Chefredakteur gerade noch rechtzeitig per Helikopter gerettet, um sämtliche Redakteure des Reiseteils per SMS zu feuern. Dann ...
»Bella? Kommen Sie bitte mal? Wenn Sie so weit sind ...« Denises Ton war schwer einzuordnen. Ausnahmsweise saß sie in ihrem Stuhl und drehte sich darin drohend hin und her. Vermutlich hätte ich bei meiner Ankunft zunächst zu ihr gehen und vor dem Thron einen Knicks machen sollen. Leicht verspätet trabte ich nun zu ihr hin und versuchte sie mit Luftkuss zu begrüßen, was sie durch eine abrupte Drehung ihres Stuhls in letzter Sekunde verhinderte.
»Wie schön, Sie wieder hier zu sehen.« Dabei musterte sie mich von Kopf bis Fuß. Ich gebe zu, mein Bürokostüm für »dicke« Tage, ein tannengrünes Exemplar aus Samt Marke Monsoon, das ich früher nur an Tagen mit Blähbauch nach einer Schachtel Pralinen getragen hatte, saß nun extrem eng. Abgesehen davon sah ich aber wirklich ziemlich professionell aus für jemanden, der vor nicht allzu langer Zeit noch mit den Beinen in der Luft dagelegenund eine Wassermelone durch ein Nadelöhr gepresst hatte. »Wo sitzen Sie denn nun?«
»Äh, dort drüben, würde ich sagen.« Ich zeigte vage in die Richtung der Feuilletonecke, wo ich immer gesessen hatte, und versuchte ihrem Blick auszuweichen.
»Nein. Das wird nicht gehen. Ich musste Ihren Schreibtisch anderweitig vergeben, da Sie so lange weg waren«, verkündete Denise eisig und fing an, einen Papierstapel durchzublättern, was wohl signalisieren sollte, dass sich hier eine vielbeschäftigte Businessfrau großzügig Zeit für eine Simulantin nahm.
»Ach! Das war aber nur der ganz reguläre Erziehungsurlaub«, erwiderte ich verdutzt und fragte mich zum ersten Mal, ob es weise gewesen war, den gesetzlichen Rahmen bis zum letzten Tag auszuschöpfen. Stimmt, da saß tatsächlich jemand an meinem Tisch. Eine Unbekannte mit schwarzen glatten Haaren. Louise und Pete winkten mir beide lächelnd zu – ein wenig verlegen, wie mir schien.
»Eine Neue?«, erkundigte ich mich. Meine inneren Alarmglocken schrillten plötzlich. Da hätten mich Pete und Lou aber auch vorwarnen können!
»Nicht wirklich neu. Sicher haben Sie regelmäßig ihre Artikel gelesen, seit Sie nicht mehr da sind. Gemma Crampton. «
»Crampton? Aber doch keine Verwandte, oder?« Ich lächelte Denise an.
»Meine jüngste Tochter.«
Mein Lächeln erstarb sofort. Verdammt. »Ich dachte, Ihre Töchter haben Jura studiert?«, quäkte ich vorwurfsvoll.
»Nun,Gemma hat beschlossen, dass Jura sie nicht genug fordert. Und glücklicherweise gab es da zufällig gerade eine freie Stelle im Feuilleton. Gemma!«, brüllte Denise. Reflexartig schützte ich mein Ohr, das der Lärmquelle am nächsten
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