Schokoherz
als hätte ich dir das Familiensilber anvertraut, und du hast es auf eBay verscherbelt!«
Pete seufzte und ließ sich, wie in alten Zeiten, auf meinerTischkante nieder. Dann nahm er meine Hand und tätschelte sie tröstend. »Mach dir keine Sorgen, meine Liebe. Wir werden das in null Komma nichts wieder ausbügeln. Wir vermuten, dass Denise den ›Bringen Sie Ihr Kind mit zur Arbeit‹-Tag etwas zu wörtlich genommen hat. Ja, Gemma ist seit ein paar Wochen hier. Und wir hätten dich auch angerufen – aber irgendwie haben wir immer damit gerechnet, dass sie sich anständigerweise wieder vom Acker macht, bevor du zurückkommst. Lass uns jetzt lieber über wichtigere Dinge nachdenken. Zum Beispiel, wie du dich wieder lieb Kind machst.«
»Lieb Kind? Aber warum bin ich überhaupt verstoßen worden? Was habe ich denn falsch gemacht?«
Pete sah mich erstaunt an. »Du warst weg! Halt, bevor du mit dem Baby argumentierst, versuch doch mal, das Ganze aus Denises Warte zu sehen. Da sieht es einfach so aus: Du hast Fahnenflucht begangen. Auf Fahnenflucht steht die Todesstrafe. Und dann ziehst du das doch tatsächlich ein zweites Mal durch! Zwei Runden Erziehungsurlaub hat es noch nie gegeben. Aber jetzt bist du wieder da, immerhin. Also lass uns die Dinge wieder ins Lot bringen ... Ideen werden hier dieser Tage hoch gehandelt.«
»Ideen! Seit ich da bin, höre ich nichts anderes. Seit wann brauchen wir Ideen?« Wütend entzog ich ihm meine Hand.
»Das Problem ist, dass Fräulein Tochter dort drüben grade einen Journalistenkurs absolviert hat«, erklärte Pete mit einem Schulterzucken in Richtung Gemma, die sich demonstrativ über ihre Tastatur beugte. »Und sie ist ganz erfüllt davon.«
»Dashabe ich auch schon bemerkt«, schnaubte ich.
Pete lächelte mitfühlend. »Hör zu, Denise steht momentan auf Interviews im großen Stil. Warum machst du da nicht ein paar Vorschläge? Cherry Brown ist frisch aus dem Entzug entlassen.«
»O ja, und sie wird begeistert sein, mit mir zu sprechen, nachdem ich geschrieben habe, sie hätte Zähne wie ein Pferd.«
»Äh, da könntest du recht haben. Was ist mit dieser Politikerin, die du vor Urzeiten mal interviewt hast? Die macht gerade überall Schlagzeilen. Ist ganz frisch zur Innenministerin ernannt worden.«
Politikerin? Mein Hirn war einen Augenblick lang erschreckend leer. Aber ich hatte doch in meinem Leben erst eine einzige Politikerin interviewt? Der Nebel lichtete sich. »Jane Dingsbums? Innenministerin? Nicht möglich! Das ist ja unglaublich. Sie war damals eine kleine Parlamentarierin. Wie kommt's, dass sie plötzlich einen der Topjobs bekommen hat?«
»Ach, alle anderen sind zurückgetreten – weil sie erwischt wurden, wie sie Aktien für ihre unehelichen Kinder gekauft, es mit Tieren getrieben oder die Putzfrau verprügelt haben. Das übliche Zeugs halt. Hast du gar nicht davon gelesen? Zuerst wurde sie Juniorministerin, und als dann plötzlich alle anderen rausgeworfen wurden, zog sie das große Los – Großbritanniens erste Innenministerin. Stand in allen Zeitungen.«
»Ach, Zeitungen. Hab du mal zwei Kleinkinder zu Hause, dann werden wir ja sehen, wie oft du noch Zeitung liest«, erwiderte ich, während mein Hirn bereits fieberhaft arbeitete. Wenn diese Politikerin – Jane Champion, hurra, mir war der Name wieder eingefallen – es wirklichso weit gebracht hatte, dann konnte das meine Chance sein, meine Karriere bei den Daily News wieder in Schwung zu bringen.
»Danke, Pete.« Ich lächelte ihn an.
Daraufhin blickte er mir durch seine beschlagenen Brillengläser hindurch tief in die Augen, küsste mir die Hand und verschwand, um sich mit den Sportreportern zu vergnügen. Liebevoll sah ich ihm nach. Pete war ein echter Freund. Und wie es aussah, würde ich jeden Freund brauchen. Gedankenversunken kramte ich in meiner Handtasche herum. Die Rosinen konnten warten – das hier verlangte eindeutig nach meiner Notration an zartschmelzender Lindt-Schokolade. Mit einer Hand zog ich die Tafel heraus, mit der anderen griff ich zum Hörer. Ich machte mich besser ans Werk. Es schreckte mich kein bisschen, gleich an meinem ersten Tag nach dem Erziehungsurlaub um ein Exklusivinterview mit der frischgebackenen Innenministerin zu bitten. Jane Champion und ich hatten uns damals blendend verstanden, das daraus resultierende Interview war eines meiner besten gewesen, und außerdem hatte ich einen Trumpf im Ärmel.
»Ja, so ist es«, versicherte ich ihrer Sekretärin,
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