Schokoherz
Denise und funkelte mich drohend an. Ich blinzelte. Selbst unser Oberboss konnte an dieser Situation wenig ändern, sofern er nicht irgendwo in seinem Schreibtisch eine Stricknadel versteckt hatte. Und selbst wenn,würde er damit ganz sicher nicht in meine Nähe kommen. Denise blickte mich nach wie vor aus schmalen Augen an. Ich kam mir wirklich vor, als hätte ich mich im zarten Alter von vierzehn hinterm Fahrradschuppen schwängern lassen. Moment mal, sagte ich mir, ich bin eine erwachsene Frau und Denise Crampton hat keinerlei Mitspracherecht bei meiner Familienplanung.
»Hören Sie, Denise ...«, begann ich. Da eilte der gestresste Kellner mit zwei riesigen Tellern an unseren Tisch. Sofort verlor ich den Faden und griff stattdessen nach Messer und Gabel. Erst essen, dann streiten. Außerdem musste ich ja bei Kräften bleiben.
2
Den restlichen Tag über sprach Denise kein Wort mehr mit mir. Musste sie auch nicht, denn ich befand mich in meiner eigenen kleinen Welt, inspiriert durch den petit pot au chocolat vom Mittagessen. Was zum Henker hatten sie da hineingetan, dass dieser Nachtisch so gut schmeckte? Würde es mir je gelingen, ihn zu Hause nachzukochen? Obwohl das sicher Spaß machen würde (ich stellte mir bereits meine großzügig mit Schokolade verschmierte Küche vor), wann würde ich jemals die Zeit dazu finden, mit Oliver und jetzt noch der namenlosen Nummer zwei, die in mir heranwuchs?
Ich hatte wirklich Glück mit meinen Schwangerschaften. Manche Frauen leiden da schrecklich – morgendliche Übelkeit, Hämorrhoiden, Pilzinfektionen. Ich wurde einfach immer dicker und dicker und blieb dabei stets fröhlich, bis irgendwann gegen Ende meine gelassene Stimmung kippte, zeitgleich mit dem Moment, von dem an der kleinste Schokoladenkrümel mir unerträgliches Sodbrennen bescherte.
Tom unterstützte mich, auch wenn er es spürbar bedenklich fand, dass mein Umfang so majestätisch zunahm. Es war eine Sache, eine rundliche Frau zu haben, abereine ganz andere, mit einer Tonne verheiratet zu sein. Er ließ mich nicht länger auf seinen Knien sitzen, und ich ertappte ihn dabei, dass er den Blick von meinem Hinterteil abwandte, wenn er dachte, ich würde es nicht bemerken. Ich schätze mal, es muss beunruhigend sein, mit jemandem zusammen zu sein, dessen Aussehen sich so radikal verändert. Als würde man mit einem kleinen Kugelfisch ins Bett gehen und morgens neben einem Wal samt Wasserfontäne aufwachen. Andererseits hatte er ja auch zu diesem Zustand beigetragen. Und es ziemlich genossen.
Ich hoffe, ich vermittle hier kein falsches Bild von Tom. Für die Geschichte ist es wichtig zu verstehen, dass er im Großen und Ganzen ein wirklich guter Mensch ist. Nicht nur im Großen und Ganzen – er schaut nicht Fußball, er besitzt ausreichend Geschick als Heimwerker, er ist freundlich zu Kindern und Tieren. Er ist belesen. Na prima, jetzt habe ich es geschafft, ihn wie einen Langweiler klingen zu lassen. Ist er nicht. Er ist, wie schon gesagt, ein guter Mann, und vieles von dem, was als Nächstes passierte, war nicht seine Schuld. Anderes wiederum schon, und das, schätze ich, ist nur schwer zu verzeihen.
Vielleicht sollte ich sein Äußeres ein bisschen genauer beschreiben, um sein wahres Wesen zu verdeutlichen. Nun, er ist groß. Ich glaube allerdings, das habe ich schon gesagt. Er hat kräftiges braunes Haar. Er hat braune Augen. Er hat große Hände. So kommen wir nicht weiter – das klingt wie eines dieser polizeilichen Phantombilder. Vergessen Sie die Beschreibung! Das Wichtigste an Tom ist nicht, wie er aussieht oder was er tut. Es ist das, was er besitzt, nämlich Charme. Und zwartonnenweise. Genau das hat mich von Anfang an fasziniert.
Eben hatte ich noch in der Schlange im Süßigkeitenladen des britischen Unterhauses gestanden, stinksauer auf diesen Typen, der sich einfach vorgedrängelt hatte. Und als Nächstes saß er mir im L'Incontro über einer Vorspeise aus Artischocken gegenüber, zog mit weißen, ebenmäßigen Zähnen das Fleisch von den ledrigen Blättern und ich wünschte mir insgeheim, er würde mir den, Slip auf dieselbe Weise abstreifen. Das ist eigentlich gar nicht meine Art. Ich bin zwar an sich eher locker und rechne meist nur mit dem Besten – was ich dann oft auch bekomme – aber meist kenne ich vor einem Abendessen zumindest den Namen des Mannes, mit dem ich mich treffe. Tom hätte schließlich genauso gut ein Axtmörder sein können. In diesem Fall wären die Straßen
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