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Schokoherz

Schokoherz

Titel: Schokoherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Castle
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waren wie kleine Kinder, sie wollten alle die gleichen Neuigkeiten und kämpften und stritten erbittert darum. Dann passierte plötzlich etwas anderes und sie verloren augenblicklich das Interesse an der ersten Story und rannten als zankender Haufen zum nächsten Schauplatz. Die Jane-Champion-Geschichte würde mit Sicherheit in den nächsten Tagen von den Titelseiten verdrängt werden. Aber die Tatsache, dass ich Mist gebaut und meine Zeitung in eine peinliche Lage gebracht hatte, würde leider nicht so schnell verjähren. Redakteure hatten für solche Dinge ein Elefantengedächtnis. Außerdem gab es massenhaft Möchtegerns wie Gemma Crampton, die sie an mein Versagen erinnern würden, falls es ihnen unwahrscheinlicherweise entfallen sein sollte.
    Nein, wir hatten genau die richtige Entscheidung getroffen: Wir würden alles hinter uns lassen und neu anfangen. Ich hatte absolut keine Zweifel mehr, auch wenn ich ein klitzekleines bisschen Angst verspürte. Aber ich sollte bald herausfinden, dass einen der schiere Wahnsinn eines Umzugs alle rationalen Überlegungen vergessen ließ.

8

    Wenn ich jetzt an diese Zeit zurückdenke, muss ich über mich selbst lachen. Ich war dermaßen schlecht vorbereitet. Irgendwie glaubte ich wohl, ein Umzug in ein anderes Land sei so ähnlich, wie in die Ferien zu fahren. Ein paar Klamotten in den Koffer stopfen und noch schnell im Drogeriemarkt eine Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor für die Kinder holen. Auswandern hat mit zwei Wochen Ferien in der Sonne ungefähr so viel zu tun wie eine Schulhofprügelei mit einem Atomkrieg. Ein ganzes Leben musste mühsam auseinandergenommen werden, Stück für Stück: Gas, Strom, Wasser und die Gemeindesteuer kündigen, Daueraufträge stornieren, das Haus annoncieren, potentielle Mieter herumführen, ein weniger alarmierendes Angebot von den Umzugsfirmen erbitten. Jeder einzelne Schritt hätte nicht mehr als einen unkomplizierten Anruf kosten sollen, aber so war das Leben nun einmal nicht. Einen Monat lang hatte ich den Hörer permanent am Ohr, wie eines der armen Wesen im Callcenter. Nur gut, dass ich keinen Job hatte. Mir wäre schlichtweg keine Zeit zum Umziehen geblieben.
    Das soll aber nicht heißen, dass mir dieser Zustand nicht gefallen hätte – ich genoss jede einzelne Minute. Dieemsige Betriebsamkeit passte mir ausgezeichnet, füllte sie nicht zuletzt das gähnende Loch, an dessen. Stelle sich einst mein Job befunden hatte. Lächelnd sausten die Kinder und ich von Termin zu Termin. In den frühen Morgenstunden überfielen mich manchmal leise Zweifel, doch es ist erstaunlich, wie beruhigend ein. paar Rippchen echter, hundert Prozent belgischer Schokolade stets wirkten. Ich hatte sicherheitshalber eine größere Lieferung von Ocado kommen lassen. Das Beste daran war, dass ich genau wusste – egal wie viele Tafeln davon ich auch verputzte –, ich war auf dem Weg dorthin, wo der Nachschub nie ausgehen würde: Brüssel.
    Wenn ich in den Erinnerungen an jene Zeit krame, kommt es mir ein bisschen so vor, als würde ich durch ein altes Fotoalbum blättern. Der Abschied von meinen Eltern war einfach entsetzlich. Ich hatte das Gefühl, sie völlig im Stich zu lassen. Meinen Job zu verlieren war schon schlimm genug gewesen. Ihr Stolz auf mich war immer wie ein edler Kaschmirpullover gewesen: so weich und warm und leicht, dass ich ihn kaum gespürt hatte. Sie verloren nie ein Wort darüber, aber ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Pulli jetzt voller Mottenlöcher war. Ich kam mir vor wie ein gemeiner Kidnapper, indem ich das Land verließ und, noch viel schlimmer, ihre Enkelkinder mitnahm. Bei unserem letzten Treffen, bevor die Umzugs-LKWs kamen, reichten drei Packungen mit dreilagigen, extragroßen Papiertaschentüchern nicht aus. Meine Güte, dabei hatten Mum und Dad bereits geplant, uns am darauffolgenden Dienstag in unserem neuen Haus zu besuchen!
    Uns von unseren Freunden zu verabschieden war einebittersüße Angelegenheit. Ich wusste, wir würden in Kontakt bleiben und die meisten von ihnen würden uns besuchen kommen. Aber trotzdem. Ich spürte den einen oder anderen Riss in meiner Überzeugung, dass unser Umzug die beste Idee war, die ich je gehabt hatte – eine Überzeugung, die ich mir wie einen Panzer zugelegt hatte, komplett mit Helm und Visier.
    Ich traf Lou und Pete zu einem sehr netten, beschwipsten Mittagessen (schließlich musste ich die Babysitterdienste meiner Eltern voll ausnutzen, solange es sie

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