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Schokoherz

Schokoherz

Titel: Schokoherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Castle
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geglaubten Scheck, jedes Buch und jedes verstaubte Handy stürzte.
    Am dritten Tag dann, nachdem sie sämtliche Legosteine der Kinder einzeln eingewickelt, eimerweise Tee getrunken und mit Olli Fußball gespielt hatten, verließen die Männer das Haus plötzlich wieder. Nun musste ich in Windeseile Aufkleber auf den Kisten verteilen, die wir im Auto mitnehmen würden, bis der Umzugswagen unsere restlichen Habseligkeiten an unserer Brüsseler Adresse ablieferte. Als der letzte Umzugsmann Olli zum Abschied auf den Arm nahm, war ich in Versuchung, schnell einen Aufkleber auf meinen Sohn zu pappen, damit sie nicht auf die Idee kämen, ihn einfach mitzunehmen, so sehr hatten sie sich mit ihm angefreundet.
    Die lebendigste Erinnerung an den Umzugstag selbst war das ungewohnte Vergnügen, Tom bei uns zu haben. Ich hatte mich während des vergangenen Monats daran gewöhnt, dass er morgens ging, während ich mit den Kindern zu Hause blieb. Hier standen wir nun gemeinsam auf der Schwelle unseres alten Heims, auf dem Weg zu neuen Ufern. Eigentlich war ich nicht traurig. Eher ein bisschen überrascht, so als hätte ich eine Seite meines Lieblingsbuchs umgeblättert und statt eines neuen Kapitels mit einem Mal den Schluss erreicht.
    Das abrupte Ende machte mir jedoch nicht mehr viel aus, denn in Wahrheit war mein Herz längst aufgebrochen, umgezogen und verschickte Karten mit der neuen Adresse. Ohne je in Brüssel gewesen zu sein, hatte ich ein Haus ausgewählt und einen dreijährigen, bindenden Mietvertrag unterzeichnet, der eine Million kleingedruckter Klauseln auf Französisch enthielt. Es war mir durchaus bewusst, welch gewaltiges Wagnis das war.Um ehrlich zu sein, hatte ich stundenlang im Internet die Brüsseler Immobilienseiten abgeklappert, um herauszufinden, welcher Stadtteil am reizvollsten war, und zu ermitteln, wo es die besten Schulen gab. Bild für Bild sortierte ich Angebote aus oder merkte sie mir vor. Ich fand ein paar mögliche Objekte, grenzte meine Suche ein und fällte schließlich eine Entscheidung. Aber wusste ich wirklich, was ich da tat? Ähm, ich glaube nicht. Hatte ich das Haus je gesehen? In echt? Nein.
    Ich weiß, das klingt bizarr. Und offen gestanden verstehe ich bis heute nicht, weshalb mir Tom dabei völlig freie Hand gelassen hat – nun ja, das ist wohl gelogen. Ich weiß es schon, aber ich will nicht darüber reden. Noch nicht.
    An dieser Stelle genügt es festzuhalten, dass wir unsere Heimat verließen, die Kinder ihren liebenden Großeltern entrissen und alle unsere Habseligkeiten in einen LKW packten, um zu einem Haus aufzubrechen, das wir noch nie gesehen hatten. Ja, ich weiß, das klingt völlig durchgeknallt, und ich will auch nicht das Gegenteil behaupten. Mich blind und kopfiiber ins Unbekannte zu stürzen war jedoch genau das, was ich brauchte, um meine Gedanken von all dem fernzuhalten, worüber ich nicht nachgrübeln wollte.
    Und es funktionierte perfekt. Zwischen meiner Entlassung und dem Umzug war ich rund um die Uhr beschäftigt. Und wenn ich doch kurz Zeit hatte innezuhalten, war die nackte Furcht vor dem Risiko, das ich gerade einging, so groß, dass sie locker alle jüngsten Ereignisse überdeckte.
    Wahrscheinlich wird mir erst jetzt klar, während ich hierschreibend im Schneidersitz auf der breiten Fensterbank sitze und auf unsere stille gepflasterte Straße hinausschaue, wie gewaltig dieser Umzug tatsächlich war. Ich mobilisierte viel Energie, um zuversichtlich zu wirken, dass es uns allen in Brüssel gefallen würde, ich vibrierte schon fast vor lauter Fröhlichkeit. Denn wessen Schuld wäre es denn, falls alles total in die Hose ging? Meine natürlich.
    Gott sei Dank verliebte ich mich auf der Stelle in Brüssel. Eine nette, bunt zusammengewürfelte Stadt mit riesigen Häusern entlang breiter, eleganter Straßen, den größten Kastanienbäumen, die ich je gesehen hatte, und Parks, so grün wie Billardtische. Der Effekt war einfach zauberhaft. Als wir das erste Mal ins Stadtzentrum fuhren, wurde Tom vorn Tempo der anderen Fahrer mitgerissen, und so sausten wir nur so in Tunnels hinein und wieder hinaus. Die Welt draußen flog nur so vorbei und bot einen verschwommenen ersten Eindruck: prächtige Fassaden, schlichte blaugraue Gebäude, Straßenbahnen in schnittiger gelber Livree, kleine Spielzeugbusse, weite Boulevards. Brüssel war stylish, großstädtisch und schien die Gerüchte über seine Langweiligkeit nicht mitbekommen zu haben. Oder falls doch, ignorierte es sie mit

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