Schokoherz
gleich auf Europe Editor ohne jegliche Klammer festlegen lassen.
Damit wäre das erledigt. Unsere Auslandsaussichten waren durchaus rosig. Als ich aufgelegt und nach den Kindern gesehen hatte – Olli spielte in der Diele ganz zufrieden mit seinen Autos, wo die Räder so toll über die Fliesen sausten, und Maddie war nach der Aufregung mit der Teigschüssel ganz brav in ihrer Wippe eingeschlafen – kam ich an der Zeitung vorbei, die seit dem Morgen unberührt auf dem Fußabstreifer gelegen hatte. Ich fühltemich stark genug, um sie aufzuheben und bei einer Tasse Tee zu studieren.
Trotz allem, was geschehen war, trotz Denises Abscheulichkeit und trotz der mörderischen Arbeitsbedingungen in meinem Job mochte ich meine gute alte Zeitung immer noch, als ich sie so durchblätterte. Es war eine wundervolle Mischung aus lebendigen Geschichten, echten Nachrichten und pikantem Promi-Klatsch, von dem ich einfach nicht genug kriegen konnte und von dem ich wusste, dass ihn auch meine Mutter und all ihre Freunde und auch meine Freunde verschlangen. Erst als ich den Mittelteil überflog, bekam ich einen Schock. Denn dort prangte in all ihrer kümmerlichen Pracht Gemma Crampton mit einem beinahe lebensgroßen Bild. »Dürfen wir vorstellen: Unsere neueste, talentierteste Feuilletonmitarbeiterin, Gemma Crampton, mit ihrer wöchentlichen Kolumne ›Gemmas Perlen‹«. Hastig legte ich die Zeitung beiseite, Brechreiz stieg in mir auf. Dann wählte ich aus dem Kopf Louises Nummer. Sie ging sofort ran, und als ich ihre vertraute Stimme ins Telefon schnurren hörte, sah ich sie lebhaft vor mir: ihre natürliche Schönheit, die im krassen Gegensatz zu ihrem Flittchen-Outfit stand.
»Hallooh«, säuselte sie verführerisch.
»Ich bin's nur. Spar dir dein Schnurren für deinen Lover auf, wer auch immer das heute sein mag«, begrüßte ich sie.
»Bella! Wie schön, von dir zu hören! Wie kommst du klar? Geht es dir gut? Nicht zu genervt vom Hausfrauendasein?«, bombardierte sie mich mit Fragen. »Und wie geht Tom damit um?«
»Tom? Ach, dem geht's gut. Mach dir wegen ihm keineSorgen. Und wegen mir auch nicht. Könnte nicht besser sein. Ich wollte dir nur mein Beileid aussprechen zu eurer neuen Starkolumnistin«, ich konnte ein Kichern nicht unterdrücken. Plötzlich klang Lou schrecklich deprimiert. »Ach, du hast ›Gemmas Perlen‹ schon gesehen. Pete sagt dazu ›Cramptons Krämpfe‹«, flüsterte sie. »Ach, wir vermissen dich ja so!«
»Ich vermisse dich auch, wirklich. Aber du kannst immer zu Besuch kommen.«
»Zu Besuch? Aber natürlich. In Fulham bin ich doch sofort mit dem Taxi, du Dummchen. Das klang gerade so, als wenn du Millionen Meilen weit weg wärst.«
»Nein, ich meinte, wenn wir dann in Brüssel sind«, sagte ich und nippte an meinem Tee.
»Was? Brüssel? Ihr zieht um?« Lou klang so schockiert, als würde ich mich nach Australien abseilen. »Und Tom kommt mit? Wieso denn bloß?«
»Also, eigentlich gehen wir wegen ihm. Er wird ›Europe Editor‹«, verkündete ich stolz. Gut, dass keiner außer mir von meinem verzweifelten Verlangen wusste, sofort das Land zu verlassen, sowie von unserem drohenden Bankrott, falls wir noch eine Sekunde länger blieben.
Stille am anderen Ende der Leitung. »Lou? Hallo? Hallo?«
»Oh, tut mir leid, Bella. Ich musste das nur erst mal verarbeiten. Das kommt so plötzlich.«
»Es stand sogar schon im Standard. Hast du das nicht gesehen?«
»Äh, ich war ziemlich beschäftigt«, wich Lou aus. Ich wusste genau, was sie meinte. Sie hatte sich mit einem absolut unmöglichen Typen eingelassen und deswegen allesum sich herum vergessen. So etwas kam vor. Oft. Normalerweise dauerte es ein paar äußerst intensive Tage, ehe es mit einem Donnerschlag endete. »Arme Lou«, dachte ich aus dem sicheren, gemütlichen Hafen meiner Ehe heraus.
»Jedenfalls musst du uns unbedingt besuchen«, bekräftigte ich. Ich wusste, dass sie meine Schulter zum Ausheulen brauchen würde, sobald ihre Beziehung in die Brüche ging. Und so wie sie klang, würde das recht bald der Fall sein. »Ich muss jetzt Schluss machen. Olli bolzt gerade irgendwelche Sachen durchs Zimmer«, sagte ich und beäugte Ollis recht beeindruckende Leistung im Kissenschießen. Es war eindeutig Zeit, dem jungen Mann etwas gute frische Luft zu verordnen.
Ich zupfte wieder mal am Vorhang – super, nur noch ein einsamer Wächter. Binnen kürzester Zeit würden sie auch ihn abberufen, und dann war ich endlich wieder frei. Reporter
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