Schokoherz
beeindruckend viel Stil.
Begeistert stellte ich fest, dass die malerischen alten Pflastersteinsträßchen, über die wir mit dem Auto holperten, exakt die warme, freundliche Farbe von Milchschokolade hatten. Das musste doch ein Omen sein – sicher handelte es sich hier ums gelobte Land.
Als ich unser neues Heim zum ersten Mal sah, überkam mich ein Gefühl, wie wenn man nach zwei verkrampftenStunden mit zusammengekniffenen Schenkeln endlich eine akzeptable öffentliche Toilette findet. Süße Erleichterung, gefolgt von einem Zustand unaussprechlichen Wohlbefindens. Hier standen wir nun vor einem Gebäude, das aussah wie ein prachtvolles französisches Landschlösschen – um einige Nummern geschrumpft und deshalb absolut hinreißend anstelle von einschüchternd. Es handelte sich um ein frisch gestrichenes, zweistöckiges weißes Backsteinhaus mit Terrakottaziegeln über hübschen kleinen Giebeln, und es thronte auf einem kleinen Hügel. Im Erdgeschoss überblickte eine Reihe von Verandafenstern den perfekt gepflegten Rasen. Breite, helle Kalksteinstufen beschrieben den grasgrünen Hang zur Straße hinunter einen Bogen. Der Blick auf die Schönheit des Hauses wurde durch die niedrige schmale Hecke zur Straße hin nicht behindert. Sie wirkte eher wie ein dunkelgrünes Band, das eine weiße Pralinenschachtel einfasst. Die Haustür und alle Fensterrahmen waren in einem hinreißenden Graugrün gestrichen, das vor dem strahlend weißen Hintergrund ansprechend europäisch wirkte. Zu beiden Seiten der Eingangstür befanden sich große schmiedeeiserne Urnen mit diesen lollipopförmigen Buchsbäumchen, von denen ich in Fulham insgeheim geträumt, aber mich nie getraut hatte, welche anzuschaffen. Erstens wären sie sofort geklaut worden und zweitens war ich mir nie ganz sicher gewesen, ob sie nicht einen Hauch geschmacklos gewesen wären. Hier, in dieser breiten, ruhigen Straße, wo die Grundstücke so riesig waren, dass unser Nachbar einen zehnminütigen Fußmarsch weit entfernt schien, und vor dem schönsten Haus, das ich je gesehen hatte, wirkten sie schlicht perfekt. Und wenn die Hausbeschreibung,die ich krampfhaft umklammerte, der Wahrheit entsprach, dann gab es nach hinten raus einen großen Garten, der vor neugierigen Blicken geschützt war, und in dem Olli nach Herzenslust Sträucher zerlegen konnte.
Die Straße selbst war eine Sackgasse, mit den köstlichen Milchschokoladensteinen gepflastert und von hohen Bäumen gesäumt. Zu beiden Seiten wurden die Häuser diskret von sauber gestutzten Hecken abgeschirmt, doch das, was von ihnen zu sehen war, schien ähnlich ansprechend wie unseres. Die meisten waren quadratisch und aus rotem Backstein, mit angebauten Garagen, hübschen kleinen Mäuerchen, die das Grundstück eingrenzten, sowie weitläufigen, kurzgeschorenen Rasenflächen. Hier und dort parkten einige auffallend saubere Geländewagen, und während wir unser neues Domizil in Augenschein nahmen, spazierte sogar der eine oder andere neugierige Anwohner mit schickem Sportbuggy oder wohlerzogenem Hund vorbei. Wie aufs Stichwort wurde Olli in seinem Kindersitz munter. »Muss Pipi«, quengelte er. Schnell stieg ich aus, um ihn aus seinen Gurten zu befreien.
Tom öffnete seine Autotür etwas vorsichtiger. »Hm, das ist nicht schlecht, Bella.« Er klang ziemlich überrascht und erfreut.
»Natürlich nicht«, erwiderte ich locker, obwohl mir vor Erleichterung die Knie weich wurden. »Genau wie auf den Fotos. Ich wusste es.« Ich packte mir Oliver auf die Hüfte und fischte den Hausschlüssel aus der Handtasche. Der Besitzer hatte ihn mir vor etwa einer Woche geschickt. Das Schloss klemmte ein wenig, und die schläfrigeMaddie zappelte ungeduldig auf Toms Arm. Doch schließlich ließ sich der Schlüssel drehen, und das heiße, panische Kribbeln in meiner Magengegend erstarb sofort. Wir waren drin!
Ich betrat den Flur und sah mich um. Diesen Teil hatte man auf der virtuellen Tour der Website besichtigen können. Es handelte sich um einen großen, hellen Eingangsbereich. Alle Räume im Erdgeschoss zweigten von hier ab. Olli hatte die Toilette bereits vergessen und flitzte direkt ins weitläufige Wohnzimmer – auf den belgischen Immobilienseiten, nach denen ich so süchtig geworden war, auch mit »le living« benannt. Ich folgte ihm etwas gemäßigteren Schrittes, während ich die Atmosphäre des Hauses auf mich wirken ließ. Von Minute zu Minute mochte ich mehr, was ich sah. Die Malerarbeiten waren erst kürzlich
Weitere Kostenlose Bücher