Schon wieder Greta!
Kopf nach.
Ein echter Knackpunkt zwischen Greta und ihrer Mutter war, als Gretas entschied, sich als Stewardess zu bewerben. Einerseits fand ihre Mutter den Beruf todschick. Durch die Welt zu jetten, in absolut angesagten Hotels zu leben und tolle Männer kennenzulernen sei da bestimmt ganz einfach. Und dann noch die schicke Uniform der hübschen Frauen – alles toll. Andererseits sollte Greta doch lieber Ärztin werden oder Richterin. Schließlich hatte Greta doch Abitur, da könnte sie doch leicht studieren. Außerdem würde ihr das doch viel besser zu Gesicht stehen, meinte ihre Mutter. Ja, dachte Greta. Dann hätte meine Mutter noch mehr mit dem Status ihrer Tochter angeben können. Status war ihrer Mutter schon immer wichtig gewesen. Was andere denken und wie andere Menschen zu manipulieren waren, das beschäftigte ihre Mutter sehr. Oh je, das war so gar nicht Gretas Welt. Als Greta den Film Titanic mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio gesehen hatte, war ihr, als hätte sie ihre eigene Mutter in der Rolle der Mutter von Kate Winslet wiedererkannt. Es ging immer nur um Wahrung der äußeren Form, das Einhalten von Regeln, oder kurz: Contenance. Heute waren Greta und ihre Mutter entspannt und akzeptierten die Macken der jeweils anderen. Schließlich hatte jede ihre eigenen. Es gelang ihnen auch, sich auf Augenhöhe zu begegnen und sich als Erwachsene in ihrer Eigenständigkeit zu respektieren. Zumindest meistens. Wenn es mal nicht so mit der Kommunikation klappte, so gingen sie heutzutage auf Distanz. Und das tat beiden gut.
Greta entzündete ihre Kerze an der Flamme einer anderen. Jetzt war sie wieder ganz bei sich selbst. David, der junge Mann aus dem Artikel, ihre tiefe Dankbarkeit und Liebe für das Leben, all das wollte sie in ein Gebet packen. Aber die Gefühle übermannten sie und es gelang ihr nicht, die Worte dafür zu finden. Sie war sich aber ganz sicher, dass jene Maria, zu deren Füßen sie die Kerze stellte, ganz genau wusste, was ihr jetzt wichtig war. Wieder umhüllte sie ein Gefühl von Wärme. Sie fühlte sich geborgen und geschützt. Nichts würde sie umhauen können und sie wollte sich das Schöne am Leben nicht nehmen lassen, nur weil ein Mann sich mit einer Chopstick-Tussi traf und sie dafür stehen ließ. In Gedanken um sich und in ihrem Gefühl von Wärme, Geborgenheit, Schutz und Sicherheit merkte sie nicht, wie der Mann aus den vorderen Reihen der Kirche sich auf die Marienstatue zubewegte. Greta kniete immer noch vor ihrer Kerze, war vertieft in ihre eigenen Gedanken, als er sie ansprach.
»Du musst ein Engel sein, wenn du jetzt hier bist.«
Erschrocken blickte Greta auf und sah Mike vor sich stehen.
Das ist jetzt wirklich nicht möglich, oder? Bin ich jetzt in einem Traum, oder ist es echt?!
»W-was, du bist es?« Mehr brachte sie nicht über die Lippen. Sie sah nochmals runter auf die brennende Kerze, dann in das Mariengesicht, dann wieder zu Mike. Tatsächlich. Er stand vor ihr. In ganzer Größe - und er bot ihr seine Hand an. Wie benommen griff sie danach und ließ sich hoch auf die Beine ziehen.
»Gerade hatte ich mich wieder so wohl in meiner Haut gefühlt. Ich hatte Mut und Kraft für das, was mir bevorsteht geschöpft und jetzt stehst du vor mir. Ich fass es nicht. Ehrlich gesagt, weiß ich jetzt gar nicht, ob ich dich überhaupt noch sehen und mit dir sprechen will.«
»Greta, es kann kein Zufall sein, dass das Leben uns hier nochmals zusammenführt. Es ist jetzt schon das zweite Mal, dass uns das passiert. Das erste Mal bei Olaf und Stephanié und jetzt auch noch in einer Kirche ?« Mike sah sich um und ließ kurz den Blick schweifen. »Das ist übrigens mein Kraftort hier. Hier tanke ich auf, wenn ich mich down fühle, wenn ich nicht mehr weiter weiß ... und da sehe ich dich vor der Marienstatue. Ehrlich, da kannst auch du nicht mehr umhin, als zuzugeben, dass unser Zusammensein gewollt ist. Oder? Willst du mich jetzt stehen lassen und mich nicht einmal anhören? Ich habe nichts falsch gemacht. Glaub mir.«
Greta war total verwirrt. Sie fühlte sich wie betäubt und ein bisschen wie ferngesteuert. Nachdem sie letzte Nacht zu viel Whiskey und ihn mit der Chopstick-Tussi gesehen hatte und dann heute das Gefühlschaos und die emotionale Achterbahnfahrt mit der Geschichte um David Rose hinter sich hatte, wusste sie nicht, wie sie mit Mike umgehen sollte. Er stand in voller Lebensgröße vor ihr. Und jetzt? Aber er hatte völlig recht, es konnte kein Zufall
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