Schon wieder Greta!
schätzte. Vor allem an Bord war Klaus eine Perle. Es tat immer besonders gut einen männlichen Hetero-Kollegen in der Crew zu haben. Sonst war der Zickenalarm unter den Stewardessen regelmäßig vorprogrammiert. Klaus konnte allein durch seine Anwesenheit und sein Geschlecht die Stimmung vollständig normalisieren. Gespräche, die sich in der Crew nur noch um Lippenstift, Schuhe und wer-mit-wem drehten, schienen dann keine Bedeutung mehr zu haben. Eine Wohltat, empfand Greta. Außerhalb des Jobs hatten Klaus und Greta nur per Mail und über Facebook Kontakt. Seine Nachricht heute war ein weitergeleiteter Link zu einem zweiten Text: dem Abschiedsbrief eines vierundzwanzigjährigen jungen Mannes namens David Rose, der taub und querschnittsgelähmt war. Er hatte sich eine Erkältung, gefolgt von einer Lungenentzündung zugezogen, und wusste, dass ihn das das Leben kosten würde. Auf Twitter hatte sich im Laufe der Zeit eine Fangemeinde von über zehntausend Followern um ihn gesammelt. Alles Menschen, mit denen er in Kontakt stand. David hatte auch eine eigene Homepage, die seine Lebensgeschichte, vor allem aber seine Lebenseinstellung wiedergab. Er war ein liebevoller Mensch, dankbar für jeden Tag, den ihm der Herrgott schenkte, dankbar für alles, was ihm Gutes widerfahren war. Und das vor dem Hintergrund seiner schweren Behinderung, seiner Schmerzen, seiner jungen Jahre und dem Wissen, dass sein Leben nicht mehr lange währen würde.
»Wenn mich der Herrgott braucht – wird er mich rufen. Ich muss jetzt gehen, ich liebe euch alle.« Das war der Inhalt seiner letzten Nachricht an seine Follower.
Greta stiegen die Tränen in die Augen. Sie war tief gerührt, die Zeilen des Abschiedsbriefs verschwammen vor ihren Augen. Wenn ein Mensch in so jungen Jahren schon so viel Leid und Schmerz erleben muss und dennoch den Funken Gottes versprühen kann, wer bin dann ich? Ich heule um so eine Männergeschichte. Das kann es doch wirklich nicht sein. Es kommt doch immer etwas danach.
Sie tauchte erneut ein in die Geschichte von David Rose. Da gab es Sätze wie: »Ihr seid alle besonders, ihr seid alle einzigartig. Seid gut zueinander, schenkt Liebe. Schenkt einander ein Lachen. Ein guter Witz ist gute Medizin. Vergewissert euch, dass alle um euch herum einen Grund zu Lachen haben.«
Trotz seiner schweren Krankheit und seinen absolut eingeschränkten Möglichkeiten zu kommunizieren und den Alltag zu meistern - David besaß einen Humor, der viele erreichte. Er war optimistisch bis zuletzt. Noch im Sterbebett hatte er sich über das Internet mitgeteilt. Er sprach von Engeln, die ihm sicherlich zeigen würden, wie es sei, etwas zu hören. Denn Engel sind richtig klug.
Greta konnte nicht anders - die Tränen liefen ihr nur so übers Gesicht. Sie schluchzte innerlich. Ihr Geheule um Mike schien ihr ganz nichtig und klein. Sie war gesund, sie war hier in New York, ihrer Lieblingsstadt – was für ein Segen. Sie weinte um David, war aber auch von seinem Optimismus gefangen. Ihr war, als hätte sie sein Lachen im Himmel gehört. Innerlich war sie zutiefst dankbar. Die Traurigkeit, die sie dennoch empfand, lag ganz dicht an einem Gefühl von Glück. Es war Zuversicht für das, was kommen sollte. Mit Dankbarkeit das annehmen, was uns das Leben beschert. Es geht doch nicht um Eitelkeiten, um Äußerlichkeiten. Ob Mike jetzt die Wahrheit gesagt hatte oder nicht: Er musste mit seinem Leben genauso zurechtkommen wie jeder andere. Ob er sich jeden Morgen aufrichtig im Spiegel ansehen konnte, sollte nicht ihre Sorge sein. Darum sollte sich Greta jetzt nicht kümmern müssen. Es ging darum, den Funken Gottes zu erfüllen. David war das gelungen.
Greta saß tief in sich gekehrt am Tisch. Die Tränen wollten nicht versiegen. Sie ließ es zu. Nach ein paar Minuten kehrte eine innere Ruhe ein, umhüllte sie mit Wärme und Geborgenheit. Jetzt gab es nichts mehr zu tun. Nichts mehr zu denken. Es gelang ihr, sich der Ruhe ganz hinzugeben. Vielleicht hatte David ihre tiefe Betroffenheit gespürt und ihr eine warme Umarmung geschickt. So fühlte sich das für sie an. Sie wollte dieses Gefühl tief in sich aufbewahren und ein Stück weit hüten. Sie fühlte sich beschenkt, geliebt und ganz plötzlich auch sehr stark. Wie konnte das alles sein?, fragte sie sich. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Oft schon war sie mit Nathalie auf irgendeiner Esoterik-Messe gewesen. Sie hatte sich immer wieder aus der Aura oder aus der Hand lesen lassen. Das waren
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