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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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so anfühlt. Freiwillig war in der Freundschaft das Allerwenigste. Ich befreie mich im Kopf jetzt seit ein paar Monaten von ihr. Ich glaube, ich werde Cathrin komischerweise keine Sekunde vermissen, keine Ahnung, wie ich das mache, aber es wird toll. Sie sind wie immer vorneweg, genau wie mein Mann, sogar mein Exmann. Selbst die Kinder finden irgendwas komisch an dieser Schieflagenbeziehung!«
    »Frau Kiehl, ich muss Sie leider in Ihrem Resümee über Cathrin unterbrechen. Die Zeit ist rum für heute.«
    Ich schwinge mich von der Ledercouch und gucke Frau Drescher verschämt an, wir haben uns ja die ganze Zeit nicht gesehen. Ich habe das alles dem Teufelsbild erzählt.
    Sie guckt mir fest in die Augen und versichert mir: »Ich sage es Ihnen noch mal: Sie dürfen gehen . Jede Beziehung zwischen Erwachsenen sollte zu jeder Zeit auf Freiwilligkeit beruhen.«
    »Danke.«
    »Gern, und: schönes Wochenende!«
    »Ach, ja«, sage ich, wie immer vor jedem Wochenende, »es ist ja schon wieder Wochenende.«
    Bei uns ist nämlich das ganze Jahr über Wochenende. Also, ich meine, bei der Arbeit von meinem Mann und mir kommt es mir immer vor wie Wochenende, weil man doch sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Deswegen bin ich ja auch so krank, weil ich zu viel Zeit habe, mich mit meinen Schäden zu beschäftigen, ich glaube, für mich, jetzt ganz persönlich, wäre Krieg oder Flucht oder wenigstens eine Maurerlehre besser, dann wäre ich etwas abgelenkt von meinen Eltern, meinem Mann, meiner Psyche, meiner Sexualität.
    Ich fahre mit dem Auto hurtig, hurtig, aber nicht zu schnell, will ja niemanden töten, zum Notar. Mir bleiben nur ein paar Minuten, weil es meinem Mann sonst auffällt, dass ich noch woanders war, das ist der Nachteil, wenn man so symbiotisch ist wie wir und so viel Zeit miteinander verbringt, dann kriegt das so was Stasimäßiges, ob man will oder nicht.
    Die beim Notar kennen das schon, ich komme rein, habe alle Testamentsänderungen schon per Mail durchgegeben, wir lesen das beide noch mal, er unterschreibt, ich unterschreibe, und dann behält er eine Kopie. Im Falle meines Todes ist er ja auch der Vollstrecker, oh, klingt das schlimm, der Vollstrecker. Und ich nehme das Original mit. Das muss ich nachher nur noch heimlich und leise in unserem Schrank verstauen, wo die ganzen Testamente liegen, die ganzen Zusätze, Pflegeversicherungen, Kopien unserer Organspendeausweise, die Originale sind in der Brieftasche, alles, was mit unserem bestimmt bald eintretenden Tod zu tun hat. Irgendwie muss ich das da reinkriegen, ohne dass mein Mann das merkt, sonst guckt der mich wieder so besorgt an, der denkt dann, es geht wieder bergab mit mir, psychisch.
    Jetzt will ich aber erst mal nach Hause und Lumis Geruch wegduschen. Wenn man alleine damit beim Notar ist, ist das nicht mehr so lustig, wie mit meinem Mann auf der Straße nach ihr zu riechen. Ich habe schon das Gefühl, die Notariatsgehilfen schnuppern etwas irritiert in der Luft rum. Als alles erledigt ist, wird wieder mit lauter Musik nach Hause gefahren.
    Das Auto schnell auf dem Parkplatz vor der Tür abgestellt und in die Wohnung gehuscht. Mein Mann erwartet mich schon, frisch geduscht. Wenigstens einer von uns beiden. Er breitet die Arme aus, hat seine lange Unterhose an und ein richtiges Männerunterhemd, ich umarme ihn, lege meine Wange an seine muskulösen, behaarten Schultern. Wir sind ein gut durchchoreografiertes Team, wir lösen uns aus der Umarmung, er dreht sich weg, und ich sehe ihn von hinten und bewundere seine Haare auf dem Rücken, wieder mal. Ich bin fest davon überzeugt, dass mein Mann so geil behaart ist, weil er fast platzt vor Testosteron. Ihm wachsen Haare an der ganzen Ohrmuschel, wie bei einem Werwolf, das gefällt mir sehr gut. Er geht aber trotzdem, wenn es überhandnimmt wie bei dem Walser, in ein türkisches Barbiergeschäft, dort macht eine hübsche Frau, auf die ich sehr eifersüchtig bin, weil sie tolle Brüste hat, diesen wundervollen orientalischen Enthaarungstrick, mit einem verdrehten Faden zwischen Fingern und Mund. Dann klemmt sie die Haare des Ohres in diesen verzwirbelten Faden und macht was mit dem Mund und den Fingern, sodass der Faden alle Ohrhaare rausreißt. Ich flehe ihn immer an, die Haare am Rücken nicht abzumachen. Wenn er auf mir liegt und in mir ist und ich so grade den Hals lang genug machen kann, um ihm über den Rücken zu gucken, fühle ich mich ganz klein und platt und bedeckt und habe das Gefühl, ich gucke durch

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