Schossgebete
Brüste, für mich war alles klar. Es konnte gar keinen anderen Grund geben, warum das da hing. Im Konzert zeigte er mir seine Lieblingsmusikerin. Iris deMent. Ich bin fast hintenüber gefallen, als sie auf die Bühne kam. Ich bin zerflossen vor Hass, auf ihn, auf sie, auf alle beide, sie steckten unter einer Decke, ich war mir sicher, und auf die Decke waren riesige Brüste gehäkelt. Sie trug ein Dirndl, aus dem ihre Brüste, mit Sicherheit Cup D, rausquollen, und er wollte mir erzählen, dass sie eine gute Songschreiberin sei und ihm die Brüste egal seien. Nee, ist klar! Ich habe ihm natürlich nicht geglaubt. Ich wollte mich lieber selber fertigmachen, mit diesem Brustneid, im Volksmund sagen wir auch Tittenneid. Man macht aber nicht aus Spaß und Langeweile seinen Mann fertig, sondern das waren ja richtig echte Ängste. Das macht ja keinen Spaß, so unlocker zu sein. So klein und mickrig im Geiste. Mein Mann konnte irgendwann nicht mehr seine Lieblingsmusik zu Hause hören, diese eine Sängerin. Ich habe ihn einfach so lange böse angeguckt, bis er es drangegeben hat. Es war keine Option in unserer Beziehung, präpaartherapeutisch, was gegen meinen Willen durchzusetzen. Er konnte seine Musik nicht gegen mich durchsetzen, wenn ich ihn darauf festgenagelt hatte, dass sie eine Brustmusikerin ist.
Oder wir saßen mit beiden Kindern in unserer Lieblingspizzeria. Da hing an der Tür ein Plakat mit einer nackten Frau drauf, die sich von oben lasziv eine Spaghettinudel in den Mund hängen lässt. Immer wenn ich die Brüste sehe, werde ich rasend. Weil sie so schön sind. Eine große Handvoll auf jeder Seite. Unter der Brustwarze dieser schöne Hängende-Beutel-Effekt. Die Nippel und der Warzenvorhof sind nicht zu dunkel, nicht zu hell, nicht zu weich und nicht zu hart. Schrecklich für jemanden wie mich, der täglich gegen seinen Brustkomplex ankämpfen muss. Wenn die Familie mal wieder da essen gehen will, denke ich nur: Oh, nein, bitte nicht, nicht in dem Perfekte-Busen-Lokal. Da vergeht mir direkt vor lauter Aufregung und Wut der ganze Appetit. Wir saßen also da, natürlich haben wir einen Tisch bekommen, nahe an der Postertür, und mein Stiefsohn sagte: »Guck mal, Papa, die Frau da sieht aus wie meine Mama, wenn die nackt ist, oder?« Ahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh. Ich wusste ja bis dahin nichts über die Brüste meiner Vorgängerin. Dafür, für diesen Satz seines Sohnes, musste mein Mann jahrelang leiden. »Aha, wusste ich gar nicht, dass die so große Brüste hatte, deine Exfrau.« Vollkommen verrückt von mir. Er hat sie ja für mich verlassen. Wenn man aber so komplexbeladen ist wie ich, bringt man es auch fertig, den eigenen Mann fertigzumachen dafür, dass er überhaupt mit jemandem vorher zusammen war und mir nicht Fotos gezeigt hat von allen Brüsten aller Frauen und mir am besten noch das Herz von allen rausschneidet, als Beweis dafür, dass er mich mehr liebt als sie alle zusammen. Was muss das schlimm sein, mit mir zusammen zu sein? Anstrengend, anstrengend, anstrengend. Aber alles, was in diesen Brusteifersuchtsstreits gesagt wurde, ist gesagt. Leider. Man kann es nicht löschen, zurückspulen oder ungeschehen machen. Es macht zu einem gewissen Teil die Liebe kaputt, wenn einer, in dem Fall ich, überall Tretminen verbuddelt in der Muttererde unter uns.
»Oh, Mann, Entschuldigung, Frau Drescher. Wieder mal einen Brustanfall gehabt.«
»Frau Kiehl, offensichtlich ist es Ihnen ein starkes Anliegen, immer wieder darüber zu reden, bis Sie Ihre feste Meinung dazu gefunden haben. Sie langweilen mich nicht damit, machen Sie sich keine Sorgen.«
»Okay, aber jetzt bin ich total von Cathrin abgekommen. Ich will doch endlich weg von einem schlechten Körpergefühl, ich will weg von meiner Freundin, weg von harten, bösen Einstellungen zum weiblichen Körper, hin zur gesunden Einstellung, klarkommen, mit genau dem Körper, den ich habe. Und das geht mit Cathrin nicht. Wie soll man das alles ansprechen, ohne dass man nur verbrannte Erde hinterlässt? Ich brauche immer eine Absolution von Ihnen, Frau Drescher, wie mein Mann von mir für seine Pornofilme und Nutten. Weil ich mir so böse vorkomme, wenn ich sie verlassen will. Aber ich darf sie verlassen. Man darf gehen. Wirklich, oder?«
»Natürlich. Das sage ich Ihnen ja immer wieder. Sie dürfen gehen. Sie glauben das aber offensichtlich nicht so ganz.«
»Ja. Sie sagen mir immer wieder: Alles beruht auf Freiwilligkeit, auch wenn es sich währenddessen selten
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