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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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Schritt und Achselhöhle, täglich mit ein bisschen Wasser und Seife waschen soll.
    Wenn also meine Mutter da so stand und im Badezimmer Katzenwäsche betrieben hat, habe ich sie genau beobachtet. Durfte ich auch. Ich habe ihre Brüste angeguckt und mich gefragt, ob ich auch so große Brüste kriegen würde. Sie hatte eigentlich sehr kleine Brüste. Aber von null, als Kind betrachtet, sahen die von meiner Mutter sehr groß aus. Ich habe oft gefragt, ob ich mal fühlen darf, und ich durfte. Ich habe sie abgewogen, die Hand so drunter gehalten, als ob man bettelt und eine Brust statt einer Münze reingelegt bekommt. Ich habe reingepiekst mit dem Finger, und meine Mutter hat oft gesagt, dass ihr das wehtue, das solle ich lassen. Aber ich wollte dieses Geknubbele fühlen. Heute weiß ich, dass das die Milchdrüsen sind. Das habe ich früher nicht kapiert. Sie hatte ganz dunkle Warzenvorhöfe und Nippel. Richtig dunkelbraunrot. Ich fand die abwechselnd ekelhaft und wunderschön. Die schönsten Brüste, die ich je gesehen hatte! Aber auch die einzigen bis dahin. Abwechselnd hatte ich Angst davor, Brüste zu kriegen, oder konnte es kaum erwarten.
    Heute weiß ich, von Ihnen und weil meine Tochter genau das Gleiche mit mir macht, dass das ein starkes Konkurrenzding zwischen Mutter und Tochter ist. Liza sagt oft, wenn sie mich nackt im Badezimmer bei der Katzenwäsche beobachtet: ›Ihh, ich will nicht erwachsen werden, Mama, ich will nicht so Brüste kriegen wie du.‹ Und dann wieder: ›Darf ich mal anfassen?‹ Ich glaube, das war das Schlimmste für mich, das weiß ich heute, dass man bei Frauen und Mädchen mit kleinen Brüsten immer sagt: ›Die hat keine Brüste.‹ Wie das klingt: keine. Null, gar nichts, komplett flach. Und ich dachte immer heimlich in mich rein: Aber das stimmt doch nicht, ich habe doch Brüste, wieso merkt das denn keiner. Man muss nur genauer hinsehen, um zu merken, da sind Brüste, die sind nur klein. Ich war meiner Weiblichkeit beraubt. Damals, in meiner Schulzeit, waren die Jungs nicht selbstbewusst genug zu sagen: ›Hey, ich steh aber auf kleine Brüste‹, oder: ›Gar nicht auf Brüste, Arsch ist mir wichtig.‹ Heute als Erwachsene höre ich diese Stimmen oft und viel selbstbewusster, ich habe aber in meiner Jugend eine Diktatur der Brust erlebt. Jeder und alle waren auf große Brüste fixiert. Es ist mir ja eigentlich peinlich zuzugeben, dass mich das so mitgenommen hat, aber es ist bis heute so geblieben, dass ich gerne Männern gefallen will. Ich kann ja schlecht aus Protest lesbisch werden, nur weil ich mit diesem Problem nicht klarkomme. Ich finde auch, dass die Gesellschaft und die Medien immer brustfixierter geworden sind. Vor ein paar Jahren, als es mit meinem Brustkomplex noch ganz schlimm war, haben uns Freunde mal zu einer Party einen alten Playboy mitgebracht. Von 1978, die Oktober-Ausgabe. Ich war so glücklich, sehen zu dürfen, dass wenigstens früher mal, also gar nicht so lange her, auch Frauen mit kleinen Brüsten als schön galten. Die Frau auf dem Cover hatte noch kleinere Brüste als ich und war auf dem Cover des Playboy ! Das hat mir gutgetan, dieses Bild anzugucken!
    Natürlich weiß ich, dass auch eine Brustoperation auf Dauer nicht gegen die Komplexe hilft. Die sind im Kopf, klar, und nicht am Körper zu operieren. Das haben Sie mir schon gut beigebracht, Frau Drescher. Ich habe gelernt, dass Riesenbrust-und-Streichholzarm-Frauen auch weiterhin die alten Komplexe mit sich rumschleppen, zusätzlich zu ihren beiden ungemütlichen Hartbrüsten da vorne, bis sie Rückenschmerzen bekommen. Ha! Das wird mir nicht passieren. Ich lass mich nicht anglotzen wie ein Alien, ein Freak, mit zwei Bollen unterm Hals und viel zu dünnen Armen. Mein Mann und ich sind ja sogar zur Paartherapie wegen meinem Riesenbrustkomplex, wissen Sie ja alles.«
    Ich habe Georg bei der Arbeit kennengelernt. Nachdem wir zusammengekommen waren, habe ich ihn dann öfter in seinem Büro besucht. Ich guckte mit einem neuen Blick durch dieses Büro. Mit einem anderen Blick als dem lockeren Kennenlernblick. Der kalte, misstrauische, kontrollierende Blick. Unter ganz vielen unverfänglichen Bildern hatte er so ein B-Movie-Plakat mit einer Frau, die mich an Jayne Mansfield erinnert hat. Erwischt. Er sagte, er hat es nur so da hängen, ja richtig, ich hab ihn sofort, uncool und unlocker und verkrampft, wie ich bin, drauf angesprochen. In dem Trashfilm ging es wohl um eine Riesenfrau. Ich sah aber nur die

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